Von Kunst & Wiener Schnitzel

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Podiumsdiskussion. Thema heute: Freiheit der Kunst. Wieder einmal. Oben schmeißen sie sich gerade Heinrich Heine ("Die Künste sind der Spiegel des Lebens."), Friedrich Hebbel ("Die Kunst ist das Gewissen der Menschheit.") und Henri Nannen ("Kunst muss anstößig sein; sie muss Denkanstöße geben.") ins Gesicht. Irgendwie nicht gerade mitreißend, keine Welle geht durchs Publikum wie im Fußballstadion. Dein Magen knurrt auch schon. Aber jetzt einfach aufstehen schaut auch blöd aus. Du denkst dir: "Sollen doch sagen, dass in der Kunst jeder das tun und lassen dürfen soll, was er will, und Punkt."

Aber nein, es wird weitergeredet: Einer plädiert für einen starken Staat, der die Kunst leiten soll in ihren Themen und Formen, um Vielfalt zu garantieren und alles in eine niveauvolle Richtung zu weisen. Der andere denkt seine demokratische Grundhaltung bis ans bittere Ende und meint, die Bevölkerung solle abstimmen, die Mehrheit entscheide! Wieder ein anderer schreit nach Freiheit und Selbstbestimmung jedes Einzelnen in der Ausübung seiner Kreativität.

"Und wo bleiben Grenzen?" wirft jemand auf. "Gesetzliche Grenzen? Und die Pietät? Und die Moral? Dürfen die auf der Strecke bleiben?"

Einer, der sich noch nicht zu Wort gemeldet hat, will Grundsätzliches besprochen wissen: "Klären wir einmal, was überhaupt Kunst ist, bevor wir darüber streiten, ob es Freiheit für dieses noch Undefinierte geben soll!"

Proteste dagegen: "Warum will der Mensch um Himmels Willen immer alles definieren? Baut er nicht dadurch Schranken auf? Ist nicht nur das Undefinierbare wirklich frei?"

Irgendwann einmal musst du kurz eingenickt sein: Da sitzt du in einem feinen, Alt-Wiener Lokal und studierst die Speisekarte. Du bestellst dir ein Wiener Schnitzel nach Art des Hauses mit Erdäpfelsalat. Dazu ein Krügerl Bier. Der Kellner bringt's. Du nimmst gleich einen kräftigen Zug. Pah! Schmeckt irgendwie alt und abgestanden. Warm. "Könnte frischer sein und etwas spritziger", denkst du dir.

Dann die Hauptspeise. Aber was ist das da auf dem Teller, ein Wiener Schnitzel? Und was um Himmels Willen ist da drauf? Soß? Geschnetzeltes? Gemüse? Ketchup? Undefinierbares Zeugs? Du schreist sofort nach dem Kellner.

"Herr Ober, was soll denn das sein? Das soll ein Wiener Schnitzel sein?"

"Nach Art des Hauses!" antwortet der Kellner knapp.

"Aber das, was soll denn dieser Eintopf da drauf? Das hat doch alles nichts mit einem echten Wiener zu tun!"

"Wir haben das im Sinne unserer Gäste kulinarisch neudefiniert", erklärt er nüchtern.

Dir platzt der Kragen: "Was? Was Sie da aufführen ist ein Skandal! Sowas gehört verboten! So eine Verfälschung, so etwas in einem Alt-Wiener Restaurant mit Tradition, das ist eine Schande! Keine Werbung für die Stadt, da ekelt es einem ja! Richtig abstoßend. Und das?" Du zeigst auf den kreativ angerichteten Erdäpfelsalat.

"Der Kartoffelsalat."

"So sieht er auch aus! Geh, tragen S' das ab und bringen S' mir gleich die Rechnung!" würgst du jedes weitere Gespräch verärgert ab.

Der Kellner geht.

Der Gast am Nachbartisch, der das offensichtlich mitangehört hat, dreht sich zu dir herüber. "Da schauen Sie, ich habe ein Grand-Desert nach Hausrezept bestellt."

"Groß ist das nicht und überhaupt!" antwortest du, die Nachspeise beäugend, "Das ist ja nur ein halber Ziegel Speisetopfen mit etwas Himbeersaft drübergeleert oder so!"

"Und ein paar Streusel. Und das um 89 Schilling!"

"So teuer? Für das? Das kann ich mir selber um ein paar Schilling auch machen. Des is ja ka Kunst. Sowas hätt's da früher nicht 'geben. Sowas überhaupt auf den Tisch kommen lassen."

"Aber wenn's wem schmeckt!", wirft ein anderer Gast von gegenüber ein, "Sie müssen es ja nicht bestellen!"

"Na hören Sie, wenn ich mich in einem solchen Lokal nicht mehr etwas bestellen getrauen kann, weil ich fürchten muss, dass es Mist ist, na weit sind wir gekommen. Nein, so nicht ! Das sollte von vorneherein ..."

Plötzlich wachst du wieder auf. Vom Podium tönt eine laute Stimme: " ... ,von Grund auf, verboten sein! Das ist doch pervers, das hat doch überhaupt nichts mehr mit Kunst zu tun so etwas!"

Viele Buhrufe aus dem Publikum. "So ein verstockter Kauz!" denkst du dir und schreist auch laut "Buh!" mit. Ein anderer am Podium kontert: "Der persönliche Geschmack, ob von einem Kritiker, einem Politiker oder sonst wem, der darf doch nicht die Basis der Entscheidung sein, ob jemand seine Kunst, sein kreatives Schaffen, überhaupt aufführen darf oder nicht."

Viel Applaus. Bravo! Bravo! Ganz deine Meinung! Bravo! Du akklamierst ihm natürlich frenetisch!

2. Platz: Wolfgang Bartsch Geboren 1980 in Wien. Schulbesuch in Wien, Matura 1998 am BRG 16 Schuhmeierplatz mit ausgezeichnetem Erfolg. Präsenzdienst in Baden. Seit 1999 Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Hobbies: Schreiben, Lesen, Sport. Schon im Jahr 2000 Zweiter beim furche-Essaywettbewerb, damals zum Thema "Wozu bin ich da? Was gibt meinem Leben Sinn und Ziel?"

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