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Demokratisierung der Monarchie

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Unter den vielen Wandlungen, die sich in der Welt seit zwei Generationen vollzogen haben, ist ein e, die zwar dem engen Kreis der Fachkundigen wohl bewußt bleibt, doch von der breiten Oeffentlichkeit kaum beachtet wird: die Demokratisierung der Monarchie dem Blute nach. Jedem, der auch nur oberflächlich die neuere politische Entwicklung verfolgt hat, drängt sich die Beobachtung auf, daß erbliches Herrschertum auf das Aussterbeetat gesetzt ist. Regierende Könige genießen hohen Seltenheitswert. Wenigstens in Europa. Während es noch vor vierzig Jahren in unserem Erdteil nur drei Republiken gab, die Schweizerische Eidgenossenschaft, Frankreich (seit 1870) und neuerdings Fortugal (seit 1910), dazu den Zwergfreistaat San Marino, bestanden zu Ende des ersten Weltkrieges nur noch- folgende Monarchien: die Königreiche Großbritannien, Spanien, Niederlande, Belgien, Italien, Dänemark, Schweden,

Norwegen, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien (das den historischen Zarentitel, also den Namen eines Kaiserreiches führte), Ungarn (theoretisch: der Regent war faktisch ein lebenslänglicher Präsident), Griechenland und Island (in Personalunion mit Dänemark), das Großherzogtum Luxemburg, die Fürstentümer Monako, Liechtenstein und Andorra. Am Vorabend des zweiten Weltkrieges hatte sich die Zahl der Monarchen um eine — Albanien, das zuletzt zu kurzlebiger Personalunion mit Italien verbunden wurde — vermehrt, doch Spanien und Irland waren Republiken geworden. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Königtum in Italien, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, LIngarn und Albanien abgeschafft. Spanien stellte formell die Monarchie wieder her, doch ergab sich da eine ähnliche Situation wie früher in LIngarn: der Caudillo Franco übt auf Lebenszeit die Funktionen eines Präsidenten aus. Wirkliche Monarchien existieren einzig noch in Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen und Griechenland (wo die Labilität des Königtums durch die bloße Tatsache bezeugt wird, daß hier zwischen 1924 und 193 5 die Republik bestand).

Doch auch die aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinüberragenden Monarchien haben einen anderen Charakter als die österreichische, die deutsche, die spanische oder gar die russische bis ins 19. Jahrhundert. Die Könige der Belgier, von Dänemark und Norwegen vermeiden möglichst höfischen Pomp; die skandinavischen Herrscher erfreuen sich großer Beliebtheit, hüten sich aber vor Einflußnahme auf die Politik. Schweden und die Niederlande entfalten,

zumal bei festlichen Anlässen, historischen Prunk, doch auch in diesen Ländern bemühen sich die Kronenträger um demokratischen Kontakt mit dem Volk. Nur in England, dem einzigen europäischen Staat, der noch eine Krönung kennt, eignet der Monarchie weiterhin etwas von der Mystik des Gottesgnadentums, wird die Dynastie auf ein Piedestal gehoben, das für ihre Mitglieder nicht immer Quelle von lauter Annehmlichkeiten ist (man denke an Prinzessin Margaret). Und obwohl die britische Parlamentsdemokratie sorgsam darauf achtet, daß der Inhaber des Thrones herrsche, doch nicht regiere, daß er die eigentliche Macht dem von der Mehrheit des Unterhauses abhängigen Kabinett überlasse und daß er dignified, der Premierminister aber efficient sei, ist der Monarch, wie voreinst, auf dem Papier der Ursprung alles Rechts, der Gebieter über den gesamten Staat und über dessen Hilfsmittel. Seit über zwei Jahrhunderten hat kein Monarch einem vom Parlament beschlossenen Gesetz die Sanktion verweigert, allein dem Buchstaben gültiger Normen nach, kann er jederzeit sogar der einstimmig votierten Bill durch die bloße Formel den Garaus machen: Le Roy (la Royne) s'avisera. Er darf ohne Angabe von Gründen die Regierung entlassen und seinen Kammerdiener mit der Bildung eines Kabinetts betrauen. Er verfügt über das gesamte Eigentum des Staates, die Minister sind „Seiner (Ihrer) Majestät Diener“ (wörtlich: Knechte), die Marine, das Heer, die Post, ja die Professoren, die Kunstakademie sind königlich. Von allen diesen aus dem Mittelalter mit fortgeschleppten unwirklichen Vorrechten ist immerhin geblieben, daß man die Herrscher und alle Angehörigen ihrer Familie mit den Anzeichen größter äußerster Ehrerbietung umgibt. Wie eindrucksvoll war das Bild, als die junge Königin Elisabeth von ihrer durch den Tod Georg VI. jäh unterbrochenen Afrikafahrt zurückkehrte und am Flugfeld der greise Churchill, neben ihm der Labourführer und Expremier Attlee und Eden, in einer Reihe stramm ausgerichtet, den Zylinder in der Hand, demütig die Allergnädigste Majestät begrüßten oder als Sir Winston, da er die Monarchin wenige Tage vor seinem Rücktritt zu Gaste sah, diese am Eingang seines Amtssitzes barhaupt, in Frack und Kniestrümpfen erwartete und ihr mit tiefer Ver-neigung den Wagenschlag öffnete.

Und dennoch, auch diese vom uralten Glanz umwehte Monarchie hat sich in einem entscheidenden Belang demokratisiert, dem Blute nach. Noch Eduard VII. war, wie alle seine Zeitgenossen auf den mächtigsten europäischen Thronen, bis in hohe Ahnenreihen fürstlicher hochadeliger Abkunft. Man mußte bis zur dreizehnten Generation, der 8192 Ahnen, zurückgreifen, um auf die ersten Bürgerlichen zu stoßen, ganz ähnlich wie bei Franz Joseph I. Bei Eduards Sohn, Georg V., kam etwas früher ein sehr geringer nichtblaublütiger Einschlag, durch die Mutter Alexandra von Dänemark und über deren niederadelige Vorfahren, die in das Haus Holstein-Glücksburg einheiratenden Grafen Schlieffen. Georg VI. war durch seine Mutter Mary von Teck Urenkel einer ungarischen Gräfin von Rhedey und diese morganatische Gattin des dichtenden Herzogs Alexander von Württemberg, eine reinblütige Madjarin, zählte von der 256-Ahnenreihe an bürgerliche Pastorengeschlechter und Bürger unter ihren, mehrheitlich adeligen Vorfahren. Trotzdem durfte Georg VI. in biologischer und soziologischer Hinsicht als Sproß der europäischen Oberklasse, vordringlich des hohen und daneben des niederen Adels gelten; denn seine ersten, nicht dieser Geburtselite zuzuweisenden Vorfahren finden sich in der 2048-Ahnenreihe. Damit ist verbunden, daß er so gut wie kein britisches — englisches, schottisches — Bluterbe in sich trug; denn der dünne Erbstrom, der von den Stuarts und von deren schottisch-englischer Aszendenz über die Pfalz-Wittelsbacher zu den Weifen von Braunschweig-Hannover und von da zu den Windsor-Sachsen-Koburg führt, bildet höchstens

die formale Grundlage, auf der sich ein staatsrechtlicher Thronanspruch stützt.

Das wird in der nun kommenden Generation anders. Georgs VI. Gemahlin, die Königinmutter Elisabeth, geborene Lady Elisabeth Bowes-Lyon, ist zu fast 15 Sechzehntel britischer Abkunft. Sie verknüpft ferner ihre Tochter, die heute regierende Königin Elisabeth IL, mit den breiten Massen des Volkes. Zwar gehören Vater und Mutter der einstigen Lady Elisabeth Bowes-Lyon alten und vornehmen Peersgeschlechtern an, den Earls of Strathmore and Kinghorne und den Dukes of Portland aus dem ursprünglich flämischen (geldernschen) Hause Bentinck, doch schon die beiden Großmütter, also zwei der vier Urgroßmütter Königin Elisabeths IL, entstammen bürgerlichen Familien Smith und Burnaby. Wenige Generationen zurück und wir treffen unter den mütterlichen Vorfahren der Herrscherin Kleinbürger, Bauern. Eine der 32 Ahnen Elisabeths II. zählt zu ebendieser Schicht, kommt aber aus Frankreich. Es war dies Hyacinte-Gabrielle Roland aus Lyon, Tochter eines kleinen Seidenfabrikanten, der in den Stürmen der Revolution verarmte. Die schöne Hyacinte-Gabrielle war die Freundin des Marquess Wel-lesley, der nach abenteuerlichem Leben Generalgouverneur von Indien wurde. Sie gebar ihm eine, später durch die Ehe ihrer Eltern legitimierte- Tochter Anna, die Lord William Charles Augustus Cavendish-Bentinck heiratete und durch ihre Enkelin Nina Cecilia Cavendish-Bentinck Urgroßmutter der verwitweten Königin Elisabeth, Ururgroßmutter Elisabeths II. wurde. Ergebnis dieses Einbruchs plebeischer Vorfahren in die exklusive englische Königsfamilie: Elisabeth II. hat in der Reihe der zweiunddreißig siebzehn britische Ahnen. Seit dem 16. Jahrhundert, seit Heinrich VIII., ist kein englischer Herrscher so sehr blutmäßig mit seinen Untertanen verknüpft gewesen. Sodann, von eben-diesen zweiunddreißig, rechnen vierzehn zur europäischen Fürstenfamilie wesentlich deutscher Herkunft (Sachsen-Wettiner, Holstein-Olden-burger, Hessen-Brabanter, Württemberger, Nassauer, Mecklenburger), sechs zum Adel, zwölf aber zum Bürgertum.

Die Demokratisierung setzt sich in der nächsten Generation fort. Der britische Thronerbe Prinz Charles stammt durch eine Urgroßmutter seines Vaters, des Herzogs von Edinburgh, von Gräfin Julia Hauke, der morganatischen Gattin des Prinzen Alexanders von Hessen, Ahnherrn dei Battenberg-Mountbatten. Julia Hauke war die Tochter des polnischen Kriegsministers Hans Moritz Grafen Hauke, der als treuer Anhänger des-Zaren beim Ausbruch der Novembererhebung von 1830 ums Leben kam, und einer Sophie Lafontaine, deren Vater aus Biberach nach Polen als Arzt gekommen war. Haukes Väter war Lyzeumsdirektor in Mainz, seine Mutter Maria Salome Schweppenhäuser, eine Elsässerin, die Mutter der Sophie Lafontaine hieß Maria Theresia Kornely und war eine Deutsch-Ungarin. Alle diese Vorfahren des Herzogs von Edinburgh entsprachen zwar wenig den Vorschriften adeliger Ebenburt, brachten ihm jedoch ein wertvolles Erbe an geistiger Begabung: die Hauke, von fernher flämischer Abkunft, das von Gelehrten und tüchtigen Beamten, die Schweppenhäuser das elsässischer Pfarrerfamilien vom Schlag der Brion, die Lafontaine, hugenottische Emigranten, das des dichterisch und künstlerisch begnadeten Verwandtenkreises um Wieland und um die Brentano-Ahnin Sophie La Roche. Wie man sieht, ist der demokratische Umbruch in der englischen Königsgenealogie keineswegs von Uebel.

Aehnlich wie in London, dessen glanzumstrahlten Hof als erstes und überraschendstes Beispiel gewählt wurde, steht es in den skandinavischen Residenzen, wo die Bernadotte auf dem schwedischen Königsthron das Blut südfranzösischer Handelsherren (Gary!) mitgebracht und in die Königshäuser Dänemark und Norwegen ausgeströmt haben. In Belgien hatte

schon König Albert I., dessen Vater Graf Philipp von Flandern noch ganz der abgehegten europäischen Fürstenfamilie entsproß, durch die Mutter, Prinzessin Maria von Hohenzollern, zweifach niederadeliges — Beauharnais — und kleinbürgerlich-bäuerliches — Murat — Ahnenerbe in sich. Astrid, die Gattin Leopolds III., fügte dem das Vermächtnis der Bernadotte-Clary hinzu. Aehnlich wie Lady Elisabeth Bowes-Lyon ihrer Tochter Elisabeth II. britische Aszendenz bescherte, hat die Verbindung mit den Murat, mit den Beauharnais und den Bernadottes bewirkt, daß Baudouin I. in beträchtlichem Maße französische Vorfahren sein eigen nennt und dadurch mit dem wallonischen Volksteil seines Landes enger verknüpft erscheint. Siebzehn von seinen vierundsechzig Ahnen waren Franzosen.

Die Demokratisierungstendenz der europäischen Fürstenfamilien bestätigt sich schließlich auch an den entthronten Herrscherhäusern. In Iralien hatte der „Maikönig“ Umberto II. durch die Mutter eine Aszendenzhälfte serbisch-montenegrinischer Abkunft und auf diesem Wege stammt er in nahen Vorfahrenreihen von Bauern Sogar bei den Habsburgern zeigt sich, langsamer, eine weniger exklusive Entwicklung. Otto, Chef des Hauses Oesterreich, ist bis zu den 128 Ahnen rein adeliger und fast völlig dynastischer Abstammung. Unter seinen zwei-hundertsechsundfünfzig Ahnen begegnet uns die südfranzösische Bürgerstochter Marguerite Hu-guetan. Bei seinen Kindern verschiebt sich diese Sachlage sehr. Seine Gattin, Regina von Sachsen-Meiningen, hat bereits eine bürgerliche Urgroß-

mutter, Agnes Zernentsch; sie hätte also nach den strengen Bestimmungen des Wiener Hofes nicht einmal Sternkreuzordensdame werden können. Unter den 32 Ahnen Reginas bemerken wir schon sechs Bürgerliche: die Deutschpolin Friederike Gfug, die Deutschamerikaner Arnold Halbach und Johanna Bohlen, Barbara Gattermann, den Geheimen Medizinalrat Professor Andreas Zernentsch, Kommerzienrat Sebastian Lucius und Maria Anna Hebel. Auch Ottos Bruder, Erzherzog Karl Ludwig, hat eine Dame geheiratet, die schon unter den Urgroßeltern zwei Bürgerliche verzeichnet: Prinzessin Yolande de Ligne, Urenkelin von Eugenie Say und Mary Ray. Als einziges Beispiel hocharistokratischer Exklusivität wäre der Chef des Hauses Frankreich, der Graf von Paris, zu zitieren, dessen offizielle Ahnentafel (mit der biologischen mag es anders sich verhalten) bis zu den 8192 Ahnen keinen einzigen Bürgerlichen aufweist. Doch schon die Kinder dessen, der für die französischen Legitimisten Henri VI. ist, haben durch ihre Mutter Isabella und durch deren Mutter, Gräfin Elisabeth DobrZensky, tschechische Ahnen aus niederem Adel und Bürgertum. Wir dürfen wohl sagen, daß die Demokratisierung des Bluts der europäischen Dynastien auch vor den bisher schroffsten Schranken nicht haltmacht.

Der Vorgang muß dem Historiker, dem Soziologen und dem Biologen zu denken geben. Unser Anliegen konnte freilich nicht sein, an diesem Ort daraus alle Folgerungen zu ziehen, die sich dem Forscher bei der Analyse dieses Tatbestandes aufdrängen. Wir müssen uns darauf beschränken, auf ihn hinzuweisen und ihn zur Erörterung zu stellen.

Aus kulturellen Vereinigungen

Katholisches Kulturwerk Wien. 8. XII.: Mariengnaden-bilder der Innenstadt. Treffpunkt: Schottenkirche (14.30 TJhr). — 9. XII.: „Schöne, Hebe Heimat.“ Pfarrsaal, XIV., Breitenseer Straße 35 (19 Uhr). — Gallenleiden. Dr. Wallnöfer. Saal, IX., Achamergasse 5 (19 TJhr). — 10. XII.: Das Obere Belvedere. Treffpunkt: Prinj-Eugen-Straße 27 (14 Uhr). — 11. XII.: Berühmte Brunnen der Innenstadt. Zusammenkunft bei der Albrechtsrampe (14.30 Uhr).

Akademischer Verein „Logos“ (I., Sonnenfelsgasse 19). 9. XII., 19.45 Uhr: Dr. Lang: „Das Bild vom Kind und Jugendiichen.“

Volksbildungshaus Margareten (V., Stöbergasse 11). 14. XII., 19 Uhr: Univ.-Prof. Paul Honigsheim (USA): „Der Aufstieg der Neger in den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Katholisches Bildungswerk (I., Grünangergasse 1). K. XII., 19.30 Uhr, Architektenverein, I., Eschenbachgasse 9/II. Prof. Franz Borkenau: „Phasenwechsel der Sowjetpolitik.“

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