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Den Löwenanteil kassieren US-Experten

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80 bis 90 Prozent der vorgestreckten „US-Hilfe” für Rußland kommt nicht der notleidenden Wirtschaft zugute, sondern verbleibt bei den amerikanischen Experten und Konsulenten.

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80 bis 90 Prozent der vorgestreckten „US-Hilfe” für Rußland kommt nicht der notleidenden Wirtschaft zugute, sondern verbleibt bei den amerikanischen Experten und Konsulenten.

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Ob die US-Wirtschaftshilfe für Rußland genügend groß oder zu gering ist, um die dort tobende Wirtschaftskrise bewältigen zu können, darüber läßt sich streiten. Eines ist sicher: Unabhängig davon, welche Behörde das vorgestreckte Geld verwaltet - das Außenamt 3,17, das Pentagon 1,75 oder das Agrarministerium 0,89 Milliarden Dollar - 80 bis 90 Prozent der vorgestreckten „Hilfe” kommt nicht der notleidenden Wirtschaft zugute, sondern den scharenweise anreisenden amerikanischen Experten und Konsulenten.

Dies behauptet aufgrund vieler Recherchen und Vertragsanalysen die bestinformierte Zeitung des American big business „The Wall Street Journal”. Die für Koordinierung der US-Hilfe zuständige Agency for International Development („AID”) konnte vor kurzem den größten Erfolg in ihrer 33 Jahre währenden Tätigkeit vermelden: 1.200 „Möchtegern-Konsulenten” für Rußlands Hilfsprogramme bewarben sich um den Abschluß eines Vertrags. Sie lassen sich auch gut oder gar sehr gut für ihre „Lei stung' bezahlen.

Fragwürdige Hilfe

Während viele in Aussicht gestellte wirtschaftsfördernde Investitionsprogramme nicht von der Stelle gerückt sind oder mehr der amerikanischen als der krisengeplagten Wirtschaft Rußlands zugute kommen, floriert die fieberhafte Tätigkeit unzähliger Berater und Experten.

Als Beispiel wird das mit 1,2 Milliarden Dollar in Angriff genommene Pentagon-Programm zur Demontage der russischen Atomarsenale angeführt. Kein einziger Dollar ist bisner bei den zuständigen russischen Stellen eingetroffen, das Pentagon dagegen hat bereits Verträge im Wert von 754 Millionen Dollar mit amerikanischen Güterlieferanten und Konsulenten abgeschlossen, welche das Demontageprogramm in Rußland einleiten sollen.

Die Beratergruppen sind bereits am Werk. Der Wert der von ihnen geleisteten Hilfe ist aber mehr als fraglich: Die Sawyer/Miller Agentur etwa hatte mit der „AID” einen Vertrag abgeschlossen, in dem sie sich verpflichtete, den Kapitalismus den Russen schmackhaft zu machen. In einer von ihr erarbeiteten TV-Sendung brüstet sich ein Bub vor seinen Spielkameraden, daß sein Vater „Aktienbesitzer einer riesigen Keksfabrik” ist. Sawyer/Millers Sendungen werden von Inspirationen Washingtoner Mithelfer angereichert. Mark Malloch Brown verlangte dafür von „AID” eine Entlohnung von 1.150 Dollar täglich. Die Agentur zahlt aber in der Regel „nur” 350 Dollar, mit sonstigen Nebenzahlungen kommt der Konsulent schon auf 800 Dollar täglich.

In Rußland, wo ein Lohn von 100 Dollar monatlich als durchaus erträglich gilt, sticht der sich daraus ergebende Kontrast besonders scharf ins Auge. Erst nach einem heftigen Protest der Privatisie-1 rungsbehörde wurde diese nutzlose Sendung vom TV-Programm gestrichen.

Keinen besonderen Nutzen haben auch andere unter Vertrag genommene Konsultationsprogramme gebracht: Das mit 98 Millionen Dollar dotierte Pet-Marwick-Programm mit der Auflage, eine Privatisierungsmethode zu erarbeiten; der mit einer Public-Re-lations-Agentur abgeschlossene 15-Millionen-Dollar-Vertrag, das Privatunternehmertum zu propagieren; die von der Handelsfirma Citizens Network mit 23,4 Millionen Dollar dotierte Beratungsmethode für russische Agrarbe-triebe oder der mit 34 Millionen Dollar dotierte Vertrag mit der Firma Price Waterhouse zur Beratung von Privatbetrieben, auf welche Weise sie ihre Aktien auf den Markt bringen dürfen.

Natürlich gibt es auch positive Ausnahmen: so etwa die Leistung eines zehn Mann starken Teams einer Bostoner Beratungsfirma, die einer Gemüse-Handelsgesellschaft im russischen Perm geholfen hat, einen prosperierenden Gemüsemarkt zu entwickeln.

Inzwischen haben sowohl Geldempfänger als auch Geldgeber erkannt, daß Hilfe, die nicht der Wirtschaft, sondern den Wirtschaftsberatern zugute kommt, keinen Sinn hat. Der Vorsitzende des Komitees für Auslandshilfe Rußlands, Alexander Schitnikow, meint etwa, die technische Hilfe, die zu 90 Prozent in die Taschen der US-Experten gehe, sei für das Land unbrauchbar. Der Leiter eines Forschungsinstituts in Tschelabinsk, Wadim Simonenko, sagt resignierend: „Die bisherige Praxis hat uns gelehrt, daß die Amerikaner das vorgestreckte Geld eher bei sich zu Hause bewahren möchten.”

Noch schärfer kritisieren die bisherige Praxis die Amerikaner selbst. Der einstige Architekt des Marshallplanes und jetzige Berater der Weltbank, James M. Silberman, weist auf den Umstand hin, daß es seinerzeit effizienter gewesen war, 26.000 Manager aus Europa nach Amerika zu holen, um ihnen US-Erfahrungen beizubringen, als jetzt Amerikas Experten nach Rußland zu senden.

Scharfe Kritik

Noch deutlicher war die Aussage des Harvard Professors Marshai Goldman vor dem US-Senat: „Rußlandhilfe, die von amerikanischen Experten konsumiert wird, hilft nicht Rußlands Wirtschaft.” Er fürchtet, daß der Nutznießer die russische Mafia sei.

Auf der Davos-Konferenz Ende März fragte er den russischen Regierungschef Viktor Tschernomyrdin, ob es wahr ist, daß die Mafia 60 bis 70 Prozent der Industrie kontrolliere. Der Ministerpräsident korrigierte, daß „die Zahl 60 Prozent näher als 70 Prozent sei” (Bericht des einstigen Verteidigungsministers Caspar Weinberger, „Forbes”, 28. März 1994).

Um die Wirtschaftshilfe effizienter zu gestalten, müssen Geldgeber und Empfänger jedenfalls die bisherige Praxis ändern und die künftige koordinieren.

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