Israel - © Foto APA/AFP/Daniel Leal (Bildbearbeitung: Manuela Tomic)

Ralph Janik zum Selbstverteidigungsrecht: Geht Israel in Gaza zu weit?

19451960198020002020

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas bringt die internationale Rechtsordnung an ihre Grenzen. Werden sämtliche juristischen Details zur Gänze beachtet? Der Wiener Völkerrechtsexperte Ralph Janik verweist auf die "doppelte Verhältnismäßigkeit".

19451960198020002020

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas bringt die internationale Rechtsordnung an ihre Grenzen. Werden sämtliche juristischen Details zur Gänze beachtet? Der Wiener Völkerrechtsexperte Ralph Janik verweist auf die "doppelte Verhältnismäßigkeit".

Werbung
Werbung
Werbung

Besatzungsmacht, Selbstbestimmung, Selbstverteidigung, Recht bewaffneter Konflikte, Menschenrechte – das internationale Recht spielt im Nahostkonflikt allgemein und bei der militärischen Konfrontation zwischen Israel und der Hamas im Besonderen eine prägende Rolle. Das beginnt bereits beim Status des Gazastreifens: Formal gesehen gehört er zu den Palästinensergebieten oder, für jene 138 Länder, die ihn anerkannt haben, zum Staat Palästina. Faktisch steht der Gazastreifen allerdings unter der Kontrolle der Hamas, die (Quasi-)Regierung Gesamt-Palästinas unter Mahmud Abbas hat hier nichts zu melden.

Die Hamas ist damit sowohl eine Terrorgruppe als auch lokaler Machthaber. Völkerrechtlich nennt man derartige, eher seltene, Konstellationen „Quasi-de-facto-Regime“. Damit bringt man einerseits deren faktische Gebietskontrolle (im Inneren) und andererseits Missbilligung (daher das „Quasi“) zum Ausdruck. Die Hamas wird damit von anderen, nicht-terroristischen Machthabern ohne breite oder jegliche Anerkennung, etwa Taiwan oder Somaliland, abgegrenzt.

Woher die Emotionalität rührt

Aufgrund dieses komplexen Status lässt sich eine Frage nicht so eindeutig beantworten, wie es auf den ersten Blick scheint: Israels Recht auf Selbstverteidigung. Traditionell hatte man damit schließlich nur Angriffe von Staaten im Sinn – was, so viel steht fest, bei der Hamas nicht der Fall ist. Palästina als Staat hatte Israel nicht angegriffen. Derartige juristische Feinheiten mögen nach akademischem Elfenbeinturm klingen. Pure Theorie sind sie jedoch nicht, vielmehr liegt hier eine der Wurzeln für die Emotionalität der aktuellen Debatte. Selbst die UNO-Sonderberichterstatterin zu den besetzten palästinensischen Gebieten sprach davon, dass Israel sich nicht auf das Selbstverteidigungsrecht berufen könne. Das auch, weil der Gazastreifen besetzt sei. Völker, die unter „Fremdherrschaft“ stehen, haben schließlich ein Recht auf Gegenwehr (was allerdings keine Menschenrechtsverbrechen wie die Massaker vom 7. Oktober rechtfertigt, nicht einmal ansatzweise). Bei den Palästinensern sogar auf einen eigenen Staat.

Das Selbstverteidigungsrecht, so die Argumentation, die vom Internationalen Gerichtshof in einem Rechtsgutachten zum Grenzzaun zur Westbank aus dem Jahr 2004 vertreten wurde, steht wiederum nur gegen Angriffe „von außen“ zu – also jenseits von besetzten Gebieten. Das wird von Israel zwar vehement bestritten. Schließlich hatte man 2005, damals unter Ariel Scharon, das Gebiet geräumt, seitdem befanden sich keine dauerhaft stationierten Soldaten vor Ort. Normalerweise verlangen Besatzungen – etwa jene Russlands von Teilen der Ukraine inklusive der Krim – effektive Gebietskontrolle im Inneren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung