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Anton Pilgram und die Bildhauer von St. Stephan

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Im Jahre 1511 wurde der mehr als fünfzigjährige Anton Pilgram Dombaumeister von St. Stephan. Orgelfuß und Kanzel veikünden über die Jahrhunderte den Ruhm des Meisters und überliefern, ungewöhnlich für die Zeit, zweimal seine Bildnisbüste: am Orgelfuß aus der Wand vorstoßend, mit Zirkel und Richtscheit, in aktiver Spannung, an der Kanzel im Spalt eines halbgeöffneten Fensters lehnend, mit dem Zirkel in der Rechten, gedankenvoll blickend, fast müde. Mit dem Orgelfuß trat Pilgram gewaltsam sein Dombaumeisteramt in Wien an, die Kanzel, 1515 vollendet, war sein letztes Werk am Dom. Als zöge er sich in das Dunkel zurück, so gestaltete der wohl im Jahre 1515 aus dem Dasein scheidende Künstler sein letztes Bildnis. Es schließt die lange Reihe von Selbstbildnissen, die der Meister in die Steinmetzengestalten von Heutingsheim, Öhringen und Rottweil, in die Maske am Brünner Judentor, in die Figuren des Falkners im Wiener Museum, des heiligen Augstinus an der Wiener Kanzel und des Heiligen Martin auf der Keckmann-Grabtafel in St. Stephan (um nur die wichtigsten zu nennen) einkleidete. Diese Leidenschaft der Selbstdarstellung hebt Pilgram aus dem Kreise der zeitgenössischen Bildhauer als einzigartige Erscheinung heraus. Herbe, ja harte Kraft des persönlichen Wesens und großartige Energie in der Charakteristik des Wirklichen zeichnet.die Werkreihe; dieses bewegten Steinmetzenlebens aus, das um 1450 bis 1460 vermutlich in Brünn begann, über einen Wiener Aufenthalt, 1481, nach Heilbronn, um 1493 nach Wimpfen und um 1502 wieder zurück nach Brünn führte, bis das letzte Jahrfünft wieder Wien zum Schauplatz hatte. Gewalttätig in Wien eingedrungen, steht Pilgram, einsam und ganz auf seine geniale künstlerische Kraft gestellt, im Umkreis der Bildhauer von St. Stephan. Kühn und frei in seiner alle Schwierigkeiten meisternden Virtuosität, zugleich aber wieder dumpf gebunden in seinem unruhvollen Schicksal, das ihn schließlich doch zum höchsten Steinmetzenamt im deutschen Südosten führte, dienender Werkmann und selbstbewußter Künstler zugleich, so erscheint dieser letzte der großen Dombaumeister von St. Stephan in seiner Zeit. Er überragt um Haupteslänge alle anderen Meister am Dom: Michel Tichter, den kaiserlichen Grabmacher, der die Tumba Kaiser Friedrichs III. vollendete, mehrere Epitaphien und die Kreuzwegstationen von der Domschatzkammer schuf; Tichters Schüler, den Meister des Reichwein-Epitaphs, den Meister der Hutstocker-Kreuztragung, den Meister des Annenaltares, den Meister des Töpferaltares und den Meister des Falkh-Epitaphs. Sie alle sind tüchtige Bildhauer, deren Können in ornamental bewegten Gruppen bezaubernder Steinaltäre ihren Niederschlag findet. Das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts sieht eine Fülle dieser Wandaltäre mit Renaissancerahmen, Renaissancedekoration und farbiger Fassung entstehen. Ihnen, den privaten Stiftungen, gegenüber binden die großen alten Gemeinschaftsaufträge der riesigen Flügelaltäre die stärksten künstlerischen Kräfte. Der Meister von Mauer, Schüler des Veit Stoß, wohl um 1503 von Nürnberg nach Wien gelangt, gibt im Marienaltar von Mauer eine glutvoll bewegte, pathetisch erhobene Schöpfung. Sie ist zwischen 1513 und 1516 entstanden, als Pilgrams letzte Werke vollendet waren. Die heilige Anna selbdritt von St. Anna und der steinerne Valentinsaltar im Dommuseum, die, um 1505 und 1512 entstanden, dem mächtigen Marienaltar vorangehen, lassen den Wohnsitz des Meisters in Wien annehmen. Dies gilt auch für, den abseitig großen Bildschnitzer des Altares von Zwettl, dessen gewaltiger Schrein sich gegenwärtig in Adamsthal bei Brünn befindet. Der rätselhafte Meister des in dem Jahrzehnt von 1516 bis 1526 entstandenen Werkes, von dem Schöpfer des Marienaltares von Mauer beeinflußt, führt Bewegtheit und Ausdruck seiner Figuren zu expressivster Übersteigerung, In der Kunst des Zwettler Meisters erreicht das plastische Schaffen der Donauschule seine letzte Höhe. Sie ist zugleich, dunkel und geheimnisvoll, stärkster

Gegensatz zur blutvollen Welt des Meisters von Mauer. Dem Bildschnitzer von Zwettl werden die Steinwerke des Jüngsten Gerichtes am Nordchor von St Stephan, des öl-berges an der Stadtpfarrkirche von Melk und der Figuren im Tympanon des Portales an der Salvatorkirche in Wien gegeben. Sie offenbaren eine beruhigtere Welt von feierlicher statuarischer Größe, neben der die Werke der Pulkauer Altarwerkstatt intimer und volkstümlicher erscheinen. Der letzte der großen in Wien schaffenden Meister ist Hans Leinber-ger, von dem ein prachtvoller „Gnadenstuhr aus Stein im Niederösterreichischen Landesmuseum stammt

Karl Oettinger gibt in dem Bande „Anton Pilgram und die Bildhauer von St. Stephan“ die erste monographische Darstellung von Pilgrams Leben und Schaffen und bereichert sie durch eigene und Forschungsergebnisse Hans Koepfs. Die persönlidie künstlerische Entwicklung des Bildhauers — ohne seine architektonische Leistung — reift zu überzeugender Klarheit. Mit eingehendster Charakterisierung werden das wachsende Können Pilgrams an den Trägerfiguren von dem Sakramentshause in Heilbronn bis zu dem großartig-feierlichen Kanzelträger aus dem Stifte Öhringen verfolgt, die Schöpfungen Pilgrams in Brünn und Wien in ausführlichsten Analysen interpretiert. Nicht weniger eingehend und wieder mit eigenen Entdeckungen, von denen die schönste der Gnadenstühl Leinbergers ist, zeichnet Oettinger die Welt der Wiener Bildhauerwerkstätten zur Zeit Pilgrams. Das Buch erweist Wien als einen der Hauptorte der spätgotischen Plastik und als den Ursprungsort des Donaustiles.

Der Verlag hat mit ungewöhnlicher Liberalität die Ausstattung des prachtvollen Bandes

Verlangen Sie, bitte, die kostenlose Zusendung meines „Gelegenheitskaufprospektes“. Buchhandlung Wilhelm Herzog, Wien VI, Mariahilfer Straße 1. besorgt. Mehr als zweihundert, zum größten Teile seitengroße und ausgezeichnet gedruckte Abbildungen, die nach neuen photographischen Aufnahmen hergestellt wurden, enthüllen die Fülle der Denkmäler mit eindrucksvollster Schönheit. Das Verdienst dieser glänzenden Bilderschau wiegt nitht geringer als die wissenschaftliche Arbeit des Autors. Die unvergleichliche Bilderfolge wird zum künstlerischen Ereignis, das in solch außerordentlicher Vollendung verwirklicht zu haben, eine Ruhmesleistung des Verlages darstellt. Der Band ist das schönste Buch über die Kunst von St. Stephan. Er ist für den Verlag und für seine kulturelle Leistung bisher eines der eindruckvollsten Denkmäler.

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