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Carlo Crivelli im Dogenpalast

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Alle zwei Jahre veranstaltet die Stadt Venedig eine Ausstellung, welche einen Zeitabschnitt det venezianischen Kunst oder das Lebenswerk eines Repräsentanten derselben in möglichster Vollständigkeit vorführen will. Die letzte Sonderschau hatte einen Überblick über Venedigs Malerei im 17. Jahrhundert geboten, in früheren Jahren waren es Giovanni Bellini, Lorenzo Lotto, Giorgione und Jacopo da Ponte, genannt Bassano, gewesen, deren Persönlichkeitsbild, durch die Konzentration aller verfügbaren Werke zu einem geschlossenen Ganzen vertieft und geklärt, oft völlig neue und überraschende Aspekte geboten hatte. So tritt auch in diesem Jahre Sinn und Wert einer solchen „mostra monografica“ klar zutage. Sie ist dem um 1435 in der venezianischen Pfarre S. Moisi geborenen Carlo Crivelli gewidmet, der lange Zeit hindurch mit seinem Vater Jacopo und seinem Bruder Vittore, welche beide ebenfalls Maler waren, verwechselt wurde, und sammelt das in alle Winde verstreute Oeuvre dieses Meisters, das bisher, ebenso wie dessen Leben, nur in Bruchstücken einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Kennern und Liebhabern bekannt war.

Gewiß, man kannte einige seiner riesigen Altarbilder und so manche der strengen, doch zugleich lieblich und mütterlich wirkenden Darstellungen der Muttergottes mit dem heiligen Kinde, welche häu&g die Signatur OPUS CAROLI CRIVELLI VENETI tragen, der seit 1490 der Titel EQUES oder, wie in der berühmten „Madonna della candeletta“ der Brera, EQUES LAUREATUS hinzugefügt wird. Aber, hatte man auch den künstlerischen Standort dieses vorwiegend in den römischen Marken und IrBaalmatinJäehgn'jZata.' arbeitenden Maieis 'getfBrn pTSststeft nnd' seinem innersten Wesen nach erkannt1?

Während das neue Weltbild des Rinasci-mento das Schaffen seiner Zeitgenossen auf der Apenninischen Halbinsel bestimmte, während Melozzo da Forli in der Schatzkapelle von Loreto und Mantegna im Palast von Mantus die Grundlagen der illusionistischen Architekturmalerei des Barocks schufen und Francesco Cossa mit seinen Genre- und Arbeitsszenen im Palazzo Schifanoja von Ferrara thematisch und perspektivisch den Weg zu Velazquez wies, baute Crivelli seine sakralen Monumentalkompositionen im Stile der aus der byzantinischen Tradition erwachsenen Schule von Murano auf und hielt konsequent an der alten Temperatechnik fest, der er erstaunliche Licht- und Farbeffekte abgewann. Die Gesichter seiner immer dem Themenkreis der Heiligen Schrift und den Heiligenlegenden entnommenen Figuren zeigen eine Differenzierung, welche von dem sich zuerst in Giottos Fresken von Padua manifestierenden inneren Leben über die herbe Anmut und tiefinnige Andacht seiner Madonnen zum raffiniert-impertinenten Ausdruck der in kostbarste und prächtigste Gewänder gekleideten, sehr weltlich wirkenden Damen reicht, die merkwürdigerweise alle heilige Frauen darstellen sollen. Auch ein Glanzstück der Ausstellung, die wundervolle Magdalena aus dem Rijksmuseum von Amsterdam, macht da keine Ausnahme. Die strenge, noch tief in der venezianischen Gotik verankerte Form scheint zuweilen von einer inneren, explosiven Dynamik gesprengt, die sich nicht nur in raumgreifenden Gesten und bewegtem Mienenspiel, sondern auch in einer besonders beredten Sprache der überaus fein und sensibel geformten Hände kundgibt.

Im Festhalten an der im Venedig des späsen 15. Jahrhunderts noch immer lebendigen Sakralkunst hieratischen Charakters und in der nur sehr allmählich vollzogenen geistigen Bewältigung der profanen Außen- und Innenwelt scheint der Kern von Carlo Crivellis Schaffen zu Hegen und seine Sonderstellung in der Geschichte der Renaissancemalerei begründet zu sein — eine Sonderstellung, die seine Vaterstadt Venedig seit jeher immer eingenommen hat.

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