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Er setzte Maßstäbe für drei Jahrhunderte

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Ein Photo, das Touristen gewöhnlich besonders gern schießen, wenn sie Venedigs Kulissenarchitektur, die klassischen Kirchenfassaden an Kanälen festhalten wollen, gilt einem eigenwilligen Kirchenbau. Halb könnte es ein antiker Tempel mit eleganter Säulenanlage sein, halb erinnert er an die Markuskirche, deren Kuppeln für vjele venezianische Kirchen Vorbild wurde. Und die wenigsten wissen, daß dieses schlanke, elegante Bauwerk „II Redentore“ eine der profiliertesten Kirchenschöpfungen Andrea Palladios (1508 bis 1580) ist, jenes Architekten, der wie nur wenige seiner Konkurrenten fast drei Jahrhunderte lang die Gestaltung zahlloser Palast- und Kirchenfassaden, Bibliotheken, Theaterbauten, Villen bestimmt hat.

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Ein Photo, das Touristen gewöhnlich besonders gern schießen, wenn sie Venedigs Kulissenarchitektur, die klassischen Kirchenfassaden an Kanälen festhalten wollen, gilt einem eigenwilligen Kirchenbau. Halb könnte es ein antiker Tempel mit eleganter Säulenanlage sein, halb erinnert er an die Markuskirche, deren Kuppeln für vjele venezianische Kirchen Vorbild wurde. Und die wenigsten wissen, daß dieses schlanke, elegante Bauwerk „II Redentore“ eine der profiliertesten Kirchenschöpfungen Andrea Palladios (1508 bis 1580) ist, jenes Architekten, der wie nur wenige seiner Konkurrenten fast drei Jahrhunderte lang die Gestaltung zahlloser Palast- und Kirchenfassaden, Bibliotheken, Theaterbauten, Villen bestimmt hat.

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Mit seinen Schöpfungen hat Pal- ladio der europäischen Architektur nicht nur ein neues „klassisches“ Depken gegeben, er ibąt auch entscheidende Impulse für einen über Jahrhunderte hinweg dominierenden Geschmack geliefert: In England, Polen und Rußland, wo der „palladianische Klassizismus“ Schule machte und bis ins späte 19. Jahrhundert hinein den Charakter der gigantischen Residenzanlagen Sankt Petersburgs, der Sommerschlösser der Zaren, der polnischen Königs- sehlösser und Potsdamer klassizistischen Paläsite, bis zu den kleinen erlesenen Landsitzen der englischen Aristokratie bestimmte; in Italien, wo Palladio vor allem in Venedig, Vicenza und in der gesamten Lombardei die prächtigsten Villen selbst errichtete; in Frankreich, das die Strenge palladianischen Geschmacks bis zur Klassik unter Ludwig XIV. auf seine Weise verformte und neugestaltete; in den USA, wo Palladios Bauformen als Grundlage verwendet wurden: und auch in Österreich haben der ältere und jüngere Fischer von Erlach sich mit Palladios Deutung römisch-antiker Bauformen und seinem neuen Strukturdenken auseinandergesetzt.

Nun zeigt die Wiener Akademie cler bildenden Künste eine umfangreiche Dokumentationsausstellung: ein Gesamtbild des Städtebauers und „Gesamtkünstlers“ Palladio. Die Bestände stammen vor allem aus dem 1973 in Vicenza (bei Verona) gegründeten Palladio-Zentrum, das bis 1980, zum 400. Todestag des Architekten, in eine Internationale For- schungsgesellsehaft mit Museum und wissenschaftlichem Arbeits- Zentrum umgewandelt werden soll. Freilich, die momentane Finanzsituation der italienischen Museen, die katastrophale Budgetknappheit, die vor allem bei der kunsthistorischen Forschung spürbar wird, und der Mangel an Personal machen zwar großzügige Planung, wie sie für ein solches Institut dringend notwendig wäre, illusorisch. Aber immerhin hat man in jahrelanger Kleinarbeit diese Ausstellung zusammengetragen und immer wieder ergänzt, dazu parallel soweit möglich Wissenschaftliche Studien betrieben.

In den entlegensten Klosterarchiven, Kirchen und Bibliotheken wurden bisher verschollene Pläne Palla dios aufgestöbert. Palladios berühmte Holzmodelle im Maßstab I : 33, die schon einist, in seinen Wettbewerbsbeteiligungen, die Bürger von Vicenza für ihn einnahmen, wurden wieder aus den Depots geholt. Und ein Mailänder Architek- turstudio baute dazu die fehlenden Stadtplanungsmodelle im selben Maßstab. Leihgaben kamen außerdem aus London: Pläne der Bauwerke, die der wahrlich besessene Palladio-Fan und -Sammler, Lord Burlington in Chiswick und York um 1720 nachbauen ließ, Zeichnungen, die Burlington im Dutzend zusammengekauft hatte… So präsentierte sich die Schau in Vicenza, so ist sie nun in Wien zu sehen.

Überhaupt ist Palladio sozusagen eine der großen Entdeckungen des letzten Jahrzehnts, seit 1968 Alfieri in Venedig einen Reprint seiner Entwürfe und Zeichnungen nach der Scamozzi-Ausgabe von 1796 herausgebracht und auch Bestetti in Rom einen Prunkband über palladianische und stilverwandte Villen des Veneto vorgelegt hat. Allerdings, zu erforschen gibt es gerade bei Palladio und seinen Stilnachfolgern noch eine Menge; Die meisten Werke sind auf ihre Vorbilder und auf ihr Wei-

terwirken, auf Datierung, Unterschiede von Idee und Ausführung, Verarbeitung von Einflüssen zu prüfen. Denn seit Palladio als Gewinner iim Wettbewerb für den Umbau eines alten Stadthauses von Vicenza sich einen großen Namen gemacht hatte, ging er viel auf Reisen, studierte eifrig die großen Werke seiner Zeit in Rom, Venedig, Florenz, lernte das Schaffen Bramantes, Sansovinos, Peruzzis und Falconettos kennen und ließ sich vor allem von den großartigen Tempelresten und damals noch intakten Stadttoren und Befestigungsanlagen Mittelitaliens faszinieren. Sein klassisches Baukonzept entwickelte er schließlich in der geistigen Auseinandersetzung mit dem venezianischen Humanisten Daniele Barbaro über das Werk des antiken Baumeisters Vitruv: es war ein Versuch, die Tempelarchitektur der Römer, vor allem ihre Säulen- Stellungen an den Fassaden, in moderne Kirchen-, Palast-, Villen- und Kommiunalibauten einzubeziehen und Säulen als strukturelle Einheit für das Maß des Baus einzusetzen.

Polladio, dessen Ruhm enorm stieg, wurde schließlich als Aufseher des kommunalen Bauwesens der Serenissima nach Venedig berufen. Im Alter zog er sich wieder nach Vicenza zurück, wo er das von ihm selbst allerdings nicht mehr vollendete Hauptwerk früher italienischer Theaterbaukunst, das weltberühmte Teatro Olimpico, schuf.

Daß Palladios freizügig entwickelter Stil nicht zuletzt auch ein Ergebnis einer besonders günstigen Auftragslage war, hat Quentin Hughes in seiner Pallad io-Studie gezeigt: vor allem, daß Palladios Schaffen nicht einfach in einer provinziellen Abwandlung der Hochrenaissance Bramantes steckengeblieben ist, sondern dank dieser

Situation und dank reicher Möglichkeiten, sich mit den geistigen Errungenschaften der Zeit auseinanderzusetzen, allmählich einen fast „internationalen“ Zug annahm.

Entscheidenden Einfluß auf Palla- dio hatte dabei die „Akademie“ des berühmten Dichters Trissino in der Villa Cricoli, eine Schöpfung des Autors von „LTtalia liberata dai Goti“ (Die Befreiung Italiens von den Goten), wo Palladio sich mit den Ansichten der Gelehrten auseinan- darsetzte, mit ihnen über Philosophie, Astronomie, Geographie und vor allem über Musik diskutierte. Von der Akademie wurde er auch nach Rqm entsandt, um antike Gebäude zu zeichnen und allmählich wurde er zu einer Autorität als Theoretiker altrömisoher Baukunst. Viele dieser kostbaren Zeichnungen Palladios hat später Lord Burlington gekauft und nach London gebracht

(heute im Institut Britischer Architekten). Und erst unter dem Einfluß der gelehrten „Trissiner“ entwickelte Palladio jenes gesamtkünstlerische Konzept, in dem „Gebäude stets mit Rücksicht auf die soziale Stellung des Auftraggebers geplant“ werden, unter ihrem Einfluß entstand sein bedeutender Traktat über die Architektur.

Der Traktat aber, der Versuch schlechthin, Grundlagen der römischen Tradition mit der Moderne zu synthetisieren, übrigens ein Werk, voll von hervorragenden Darstellungen, wurde einfach zum Musterbuch „kultivierten Bauens und Lebens im modernen Stil“. Und er gab zum Beispiel eben „den englischen Baumeistern des 18. Jahrhunderts jenen zündenden Funken, der nötig war, um die Wünsche, des englischen Landadels zu erfüllen, der glaubte, daß der Mantel des alten Roms auf seine Schultern gefallen war“ (Hughes).

Was Palladio übrigens bereits für seine Zeitgenossen bedeutete, vermag uns ein Beispiel zu zeigen: Trissinos „L’Italia liberata“ schildert die Vertreibung der Goten aus Italien durch Beiisar, den General ‘des Kaisers Justinian. Das Fortbestehen der römischen Kultur, trotz dem Barbarenansturm vom Norden, beruhte auf dem Siege Beiisars. Und es war kein Zufall, daß Trissino dieses Thema in einem Augenblick wählte, als es der italienischen Renaissance gelungen war, die Fesseln der nordischen Gotik völlig ab- zustreifan und eine Kultur zu erneuern, deren Wurzeln in Griechenland und Rom lagen. Und dann kommt in diesem Buch ein Schutzengel zu Beiisar: Sein Name ist Pal- ladio und er ermutigt Beiisar zum Angriff, verkündet ihm den Sieg. Als Trissino den jungen Andrea di Pietro della Gondola kennenlemte, gab er ihm diesen Namen: Palladio — den Namen des Baumeisters, der den Weg der klassischen Kultur für alle Zukunft wiederherstellen sollte.

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