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Das Purpurgewand der Kardinäle

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Neunzehn Bronzeplastiken von Giacomo M a n z ü füllen den großen Saal des Kunstgewerbemuseums in der Weiskirchnerstraße. Die Ausstellung des italienischen Bildhauers, die wir der Oesterreichischen Kulturvereinigung zu danken haben, ist so günstig angeordnet, daß jedes einzelne Werk — auch die kleineren — im Raum voll zur Geltung kommt. Den Mittelpunkt bildet die Gestalt eines sitzenden Kardinals, der ganz zugedeckt ist von seinem Purpurgewand. Die wesentlichsten Skulpturen, die Manzü in dieser Ausstellung zeigt, scheinen mir die Kardinäle zu sein, von denen zwei in lebensgroßem, drei in etwa handgroßem Format zu sehen sind. Diese Figuren empfangen ihre Würde und Beherrschtheit durch ihr Amt, das der Bildhauer durch die Betonung ihres Gewandes auszudrücken versucht. So erscheinen sie herausgehoben und unterschieden von allen anderen Menschen. Sie sind ganz und gar eingehüllt in ihr Gewand, das ihre Berufung ist, und dadurch vielleicht auch etwas entpersönlicht und. nur noch Diener der Kirche und nichts anderes mehr. Ihr Gewand hat alles Wesentliche nach innen genommen. Sie halten nichts in den Händen; aber man sieht oft die Hände gar nicht, auch sie sind zugedeckt. Die Augen sind meistens in Meditation geschlossen, aber das kann man nicht immer genau ausnehmen, denn bei den kleineren Kardinalsfiguren sind die Gesichter nicht in jeder Einzelheit ausgeprägt. Sie meditieren, aber sie träumen nicht, sie sind voll Entschlußkraft und Festigkeit. Ihr Gewand fällt glatt herunter und ist nur durch ganz wenige Falten gegliedert. Es ist immer schwierig, die Faserung eines Stoffes plastisch wiederzugeben und die Oberfläche des Textils in die Oberfläche eines Steins oder einer Bronze zu verwandeln. Manzü ist diese Ersetzung hier völlig gelungen. Dagegen scheitert er, wenn er eine Luftmatratze (oder sollte es bloß ei Bettpolster sein?) in Bronze übersetzen will Gummi läßt sich wohl überhaupt nicht durch ein anderes Material ausdrücken.

An den Wänden finden wir Abbildungen der Flachreliefs für die Gestaltung eines Seitentores zur Peterskirche in Rom, mit dessen Ausführung Manzü betraut wurde. Ach, daß es heute bei uns auch eine christliche Kunst solcher Intensität gebel (Wir haben ja einen Boeckl und einen Weiler, aber eben nur wenige Werke von ihnen.) Manche der Handzeichnungen haben selbständigen Wert, andere sind nur Vorstudien und Entwürfe für die Plastiken. Manches aus den Graphiken finden wir in gereinigter Form in den Skulpturen wieder. (Und was ist denn eine Plastik ihrem Wesen nach anderes als ein Reinigen von allem Nebensächlichen.) Da sind Lithographien, Studien zur Illustration von „II falso e vero verde“ von Salvatore Quasimodo. Eine Frauengestalt fällt uns auf und ein Mann, der mit dem Kopf nach unten erhängt, gekreuzigt wurde. Aber erst im Hochrelief ist das Erschrecken im Gesicht der Frau, die die Hände zusammenschlägt (aber nicht bloß Erschrecken, da ist Staunen, Entsetzen, Teilnahme, Verzweiflung), greifbar vor uns. Aber es ist nicht im Gesicht der Frau allein, es ist vor allem in der Bewegung, in der Art, wie sie die Hände zusammenschlägt. Diese Bewegung kann nur aus einer Plastik erwachsen, keine Zeichnung könnte das sagen. Der Ausdruck liegt in der Bewegung selbst, nur durch Bewegung läßt sich soviel Leben zusammenfassen in eine einzige Hand.

Wir verstehen, daß dieser einfache lombardische Bildhauer, der früher Stukkateur war, nirgends anders als in der Welt des Südens so schaffen konnte und kann. In einer hellen Welt, wo Mensch und Idee keinen Gegensatz bedeuten, wo sich alles im Bilde des Menschen darstellen läßt, wo die Dinge enger beisammen sind, weil das, was sie verbindet, Klarheit ist, Licht, Geist.

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