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Kurzschrift an der Wand

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Innsbruck, im März Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied, ob man einfach ein Bild an die Wand hängt oder ob man ein Wandbild schafft. Das Bild ist in sich geschlossen und begrenzt; ausnahmsweise nur greift es auf den Rahmen über und verschmilzt mit ihm zu einer Einheit. Es kann günstig und ungünstig aufgehängt werden, es kann in ein Zimmer passen oder auch nicht. Anders ist es mit den Wandbildern; sie sind Teil der Wand; sie meinen nicht nur sich selbst, sondern sie müssen mehrerlei Funktionen erfüllen. Einmal die architektonische Funktion: sie haben mit beizutragen zur Raumgestaltung, sie müssen dekorativ sein und sich einfügen in den Charakter des Raumes und ihn zugleich mitbestimmen. So hören sie nicht auf an ihrem Rande: sie sind gleichermaßen im ganzen Raum anwesend. Dann haben sie eine inhaltliche Funktion zu erfüllen: das Wandbild in einer Bahnhofshalle wird etwas anderes ausdrücken müssen als das in einem Krankenhaus oder in einer Versicherungsanstalt. Wohl nur in einem Verwaltungspalast wird man eine abstrakt-neutrale Wandgestaltung gelten lassen können. Und schließlich kann man Wandbildern noch die Funktion zuweisen, erste Kontakte herzustellen zwischen dem Publikum (denn sie sind ja fast immer öffentlich zugänglich und meist gar nicht zu übersehen) und dem Bereich der Kunst, der heutigen Kunst insbesondere. — Einen Grenzfall stellen die Bilder aus bestimmten Schaffensperioden Willi Baumeisters dar, die er bewußt architektonisch verstanden wünscht, architektonisch nicht nur in ihrer Struktur, sondern auch in ihrer Funktion als Teil einer Wand.

Es war ein glücklicher Gedanke, das neuerbaute Innsbrucker. Allgemeine öffentliche Landeskrankenhaus mit Wandbildern auszustatten. Auf Grund der Zweiprozentklausel standen dafür über 100.000 Schilling zur Verfügung. Man entschloß sich, diesen Betrag für die Herstellung von zwölf kleineren Wandbildern zu verwenden und schrieb einen Wettbewerb aus. Zehn Künstler gewannen Preise und konnten darangehen, ihre Einreichungen zu verwirklichen; unter anderen war auch Max Weiler mit zwei Preisen ausgezeichnet worden. Heute sind fast alle Wandbilder fertig; man hat auf Fresken verzichtet und durchweg Mosaike in die Wände eingelassen. Beinahe jedes Stockwerk hat drei Mosaike, von denen die von Max Weiler, Gerhild Diesner und Kurt Fischer am besten gefallen. Die Mosaike sind aus Smalten (Bleiglasflüssen) und Marmor zusammengesetzt; ein einzelnes, bei dem bemalte Kacheln verwendet wurden, erscheint etwas verunglückt.

Nun hat Max Weiler für sein zweites Mosaik, das Motive aus der Geschichte des Tobias darstellt, eine alte Methode neu entdeckt und belebt. Während das herkömmliche Verfahren das Bild in einzelne Blöcke zerlegte, die in der Werkstatt zusammengesetzt wurden, bleibt das Wandbild jetzt eine Einheit und wird erst an der Wand selbst geschaffen. Bisher war es üblich, die einzelnen Glasflüsse nebeneinander auf Papier aufzukleben, was. wenn man die einzelnen Blöcke in die Wand einließ, ine glatte Oberfläche ergab. Nun aber ging Weiler daran, sein Mosaik nicht in Bruchstücken herzustellen, sondern an Ort tind Stelle Glasfluß neben Glasfluß zu setzen und zu verkitten. Diese Methode, die bis zur Renaissance allgemein üblich war und später von der etwas „rationalisierten“ Methode, die — buchstäblich — ein Kleben am Entwürfe forderte, abgelöst wurde,hat vielerlei Vorteile. Zunächst ermöglicht sie es, viel kleinere Glasflüsse zu verwenden, was einen schnelleren und feineren Wechsel von Farben und das Zustandekommen von Zwischentönen erlaubt; dann ist es ihr zu danken, daß das Mosaik nun eine bewegte, rauhe Oberfläche hat, die Bäume, Menschen, Gebirgszüge hervorspringen lassen und eine Quelle in die Wiese oder einen Vogel in den Himmel einbetten kann: dadurch wird die Wand so' lebendig, wie man , es ihr nie zugetraut hätte, haben doch Mosaike gewöhnlich etwas Starres an sich. Außerdem kann der Künstler jetzt, das Fortschreiten seines Werkes ständig überprüfen, kann feststellen, wie die eine oder andere Einzelheit wirkt, und kann, wenn er will, abändern. Ein Mosaik zu machen, ist wieder eine ganz und gar schöpferische Tätigkeit geworden.

Max Weiler liebt es, die Formen seiner Bilder stark zu vereinfachen: so hat er Strukturen gefunden für den Himmel und die Sonne, für Menschen und Berge, für Häuser und Bäume. Diese Strukturen hat ' er nach und nach in seinen Gemälden gefunden, aber für die Gestaltung einer Wand eignen sie sich ganz besonders. Die Zwischenräume zwischen ihnen werden zum Hintergrund, der meist in einer Grundfarbe gehalten ist. Diese Strukturen mögen vielleicht nicht immer ganz glücklich und exakt sein (so ist Weilers Himmel vielleicht etwas zu dicht und kompakt), auf jeden Fall sind sie eine gute Lös-ung des Problems: wie übersetze ich moderne Kunst in eine allgemeinere und weniger differenzierte Formensprache, ohne sie in ihrer Substanz zu beschädigen. Diese etwas jour-nalistisch-feuilletonistische Aufgabe hat Weiler erfüllt, indem er sich eine eigene Kurzschrift schuf, die in gleicher Weise dekorativen und künstlerischen Charakter hat (was übrigens gar kein Gegensatz zu sein braucht) und die zugleich bildende Kunst in den Bereich der angewandten Kunst hinüberführt, ohne daß diese dadurch aufhört, Bild zu sein. Material und Stil sind hier eine innige Synthese eingegangen, die es uns leicht macht, diese Kurzschrift zu entschlüsseln.

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