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Ein Attersee auf Glas

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Händler gibt es auf der Mariahiiferstraße genug, den neuen „Wetterhändler” auf einem 22 Meter hohen Glasmosaik allerdings nur einmal. Er ist eine Kreation von Christian Ludwig Attersee. Damit wird auch das gewöhnlichste Kaufhaus zu einer Attraktion. „Eine reine Geldmaschine” verbirgt sich hinter der schillernden Fassade. Architekt Ernst I luss ist sehr stolz, hinter der gläsernen Pracht alle Anforderungen eines modernen Gebäudes mit unterschiedlicher Nutzung untergebracht zu haben.

„Jch habe den Rahmen zum Bild geschaffen”, definiert Ernst Huss seine Bauaufgabe. Die Fassade dieses Hauses, die das größte Glasmosaik Europas nach Entwürfen und unter der Aufsicht Christian Ludwig Attersees trägt, stellt die Leistung des Architekten ziemlich in den Schatten. Bis zu 10.000 Glasmosaiksteine pro Quadratmeter sind in das Werk montiert, fünf Jahre brauchte es, um vom Entwurf bis zur Vollendung zu reifen. Nun hat die Mariahiiferstraße eine neue Attraktion.

Wie in ein Kleid gehüllt wirkt Wiens jüngstes „Künstlerhaus”. Ludwig Attersee, der Gestalter der Fassade, hat sich zum Standort des Gebäudes viel überlegt. Eine Allegorie auf den Handel sind die Themen des übergroßen Werkes: Merkur, der Gott der Händler, Kaufleute und Diebe schwebt über der Erde, die gleißende Sonne über der linken Schulter, umgeben von Wetter, Licht und Naß: rein geografisch gesehen bewacht er einfach den Eingang in das Modegeschäft der exklusiven Firma „Hennes & Mauritz”; Uber drei Geschosse erstreckt sich das Geschäft, hell beleuchtet und transparent hebt es sich deutlich vom Rest der Fassade ab. Die Glasmosaiksteine aus Italien dominieren das Haus, das zurückhaltend gegengleich zur Auswärtswölbung des Kunstwerkes nach innen neigt, monoton in reinen, spiegelnden Glasflächen den Hintergrund bildet. Und dennoch sieht Architekt Huss, der das Gebäude hinter dem Werk geschaffen hat, sein Haus als ein eigenständiges Ding. Mehr als der Träger eines Kunstwerkes ist also, was nun eine Baulücke in der Mariahilferstraße füllt, Ks heißt schon jetzt Atterseehaus, und dennoch ist der Architekt ob so viel Publicity bei Kunstfreunden nicht böse. Die Zusammenarbeit mit dem Künstler hat er als sehr fruchtbar erlebt, und Attersee wußte auch genau, mit wem er zusammenarbeiten will: Sie kennen einander schon lange. Besonders interessant ist an dem Haus allerdings weniger die Architektur selbst als vielmehr die Geschichte seiner Entstehung. Nicht die öffentliche Hand hat das Bauwerk gesponsert, es verbergen sich auch keine Gemeindewohnungen hinter dem künstlerischen Anstrich.

Dieses Haus ist aufgrund einer Privatinitiative entstanden, deshalb ist auch die Nutzung alles andere als sozial. Ein Geschäftslokal sitzt auf einer Tiefgarage, in den ruhigeren Obergeschossen hat sich die Hotelkette Astron eingemietet, um mit Suiten der gehobenen Kategorie in Westbahnhofnähe hinter einer schönen Fassade Betten zu füllen. Die Zeiten der wohlhabenden öffentlichen Hand sind vorbei. In Zukunft werden Architekten sich ihre Auftraggeber wohl in der Privatwirtschaft suchen müssen.

Der Investor wollte ein Künstlerhaus bauen. Mit viel Einsatz und Energie hat er sich einen Lebenstraum verwirklicht und Mariahilf um eine eventuelle Attraktion bereichert. Eine Geldmaschine verbirgt sich hinter dem Riesenkunstwerk. Bald soll das Äußere dazu beitragen, daß möglichst viel klingende Münzen über die Ladentische wandern. Eröffnet von Bürgermeister Häupl, kann sich das Gebäude über zu wenig Publicity nicht beschweren.

Dennoch unterscheidet es sich vom Brauer- oder Hundertwasserhaus. Ihr Anspruch auf eine soziale Komponente war da. Trotzdem bleiben einige Fragen offen: braucht ein Gemeindebau so viel Kunst, daß sich in ihm nicht mehr ungestört leben läßt? Dürfen soziale Gelder für den Luxus einer schönen Fassade ausgegeben werden, ist diese mehr als Behübschung? Oder ist nicht der neue Weg des Atterseehauses viel ehrlicher? Ein Traum, ein Wunsch, ein Auftrag, und die Endabrechnung muß stimmen.

Für die Architektur Wiens kann man nun gespannt sein, was der freie Markt und der Investorengeschmack noch für Gebäude hervorbringen werden. Eher Kunst oder Architektur oder beides.

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