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Idee, Programm, Publikum

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„Anbruch unseres Jahrhunderts“ ist das Motto der Wiener Festwochen 1964, das auch unsere Gesellschaft der Gestaltung ihres Programmes zugrunde zu legen hatte.

Zweifellos erscheint es aufs erste höchst reizvoll, eine Heerschau der Leistungen zu geben, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf allen Gebieten der Kunst, also nicht nur der Musik, sondern auch der Malerei und der Literatur erbracht wurden. Besonders interessant wäre es, der Vielfalt und der Gleichzeitigkeit oft völlig konträrer Bestrebungen nachzuspüren, die sich einerseits in der Musik und anderseits auf anderen Gebieten der Kunst auftaten. Geradezu umstürzlerisch neue Werke und Ideen, wie Max Plancks „Quantentheorie“, S. Freuds „Traumdeutung“ oder Picassos sogenannte „Blaue Periode“, stehen am Beginn des Jahrhunderts herrlichen, aber doch eher konventionellen Tonschöpfungen, wie Puccinis „Tosca“, Char-pentiers „Louise“, Schönbergs „Gurreliedern“, gegenüber. Solche Eindrücke, Vergleiche und Feststellungen wären zwar für den Forscher außerordentlich interessant und lehrreich, doch wird wohl die ganz große Mehrheit der Festspielbesucher aus Österreich wie aus dem Ausland zu solchen tieferschürfenden Betrachtungen kaum die seelische Disposition mit sich bringen.

Der Festspielbesucher von heute verlangt vielmehr nach „Sensationen“, und zwar Sensationen im besten Sinn des Wortes. Die vollendete Wiedergabe klassischer Meisterwerke in der Oper, im Sprechtheater oder im Konzertsaal in einer außerordentlichen Besetzung, die Begegnung mit weltberühmten Künstlern — Dirigenten, Sängern oder Instrumentalsolisten allenfalls auch die Uraufführung eines (wenn schon nicht neuen, so doch ein wenig skandalumwitterten) Werkes bieten ihm ebenso Sensationen wie etwa besonders gelungene, aus der ganzen Welt zusammengetragene Kollektivausstellungen berühmter Maler oder Bildhauer, die als einmalige Gelegenheiten gewertet werden. Als sensationell werden auch Ausstellungen empfunden, die typisches Lokalkolorit auf höchstem Niveau aufweisen. Die Ausstellungen in Krems, Melk und München (bayrische Frömmigkeit) bieten hiefür dankbare Beispiele. Kurz gesagt: es soll ein Erlebnis sein, das der Festspielbesucher mit nach Hause nehmen will, ein Erlebnis, das den Charakter der Einmaligkeit trägt, ein Erlebnis, das ihm anderswo kaum geboten werden kann.

Ein solches Erlebnis auch heuer wieder unseren Konzertbesuchern zu vermitteln, gleichzeitig aber auch dem Motto — zumindest so weit als möglich — gerecht zu werden, das war die außergewöhnlich heikle und schwierige Aufgabe, vor die sich unser Generalsekretär, Prof. Gamsjäger, bei der Programmierung gestellt sah. Heikel und schwierig war die Aufgabe deshalb, weil der internationale Konzertbesucher in Wien vor allem die authentische Interpretation der österreichischen Meister sucht, also Werke von Haydn, Mozart, Schubert, Beethoven, Brahms und Bruckner genießen will, während er sich das Anhören moderner Werke gerne für zu Hause aufspart. Im allgemeinen, so glaube ich, sollte man tunlichst der Verlockung widerstehn, Konzertprogramme durch die Unterstellung unter ein Motto attraktiver gestalten zu wollen. Man wird dieses Ziel wohl nur dann erreichen, wenn das Motto aus der Musikgeschichte sozusagen herausgewachsen ist, während die willkürliche Begrenzung der Programmgestaltung auf einen zufälligen kalendarischen Zeitabschnitt zwangsweise zu einer -gewissen- Einseitigkeit führen und die Erlebniskraft der Konzerte beeinträchtigen muß.

Gerade bei unserer Gesellschaft ist eine solche Einseitigkeit tunlichst zu vermeiden, da die seit etwa 10 Jahren neugewonnenen, nach vielen Tausenden zählenden Konzertbesucher — vor allem die Jugend sowie Arbeiter- und Angestelltenkreise — mit vollem Recht vorerst einen Überblick über die sogenannte „klassische“ Musikliteratur gewinnen wollen, bevor sie sich in das zwar interessante, aber oft dornenvolle Abenteuer moderner Musik stürzen. Bei einem jährlichen Besuch selbst von zehn Konzerten im Durchschnitt benötigt der neugewonnene Musikenthusiast immerhin ein gutes Jahrzehnt, um die etwa zweihundert Standardwerke von Bach bis Richard Strauss zu hören! Möge dies die Kritik bedenken, wenn sie uns zeitweise eine allzu konservative Programmgestaltung vorwirft. Wer den von Prof. Gamsjäger geradezu meisterhaft verfaßten Prospekt über das „Internationale Musikfest der Gesellschaft der Musikfreunde 1964“ aufmerksam durchstudiert, wird zugeben müssen, daß unser Generalsekretär ein wohldurchdachtes Aquilibrium zwischen vorgeschriebenem Motto und den Publikumswünschen geschaffen hat. Er kann des Dankes und der Anerkennung der übergroßen Mehrzahl unserer Konzertbesucher sicher sein.

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