6770310-1968_50_13.jpg
Digital In Arbeit

NAMENLOSE LEINWANDHELDEN

Werbung
Werbung
Werbung

Was wäre das Lichtspiel ohne sie? Als Bauern, Bürger, Edelleute, als Cowboys, Matrosen, Soldaten, kurzum als Menge, Masse, „Volk” bilden sie häufig den menschlichen Hintergrund des Leinwandgeschehens. Sie tragen Arbeitskleidung, Gesellschaftsanzüge, Uniformen, Amtstrachten, geistliche Gewänder und charakterisieren so das Milieu, die Zeit, die Situation, die „Atmosphäre” usw. Sie haben eine optisch wirksame „Physiognomie”, bringen „Farbe”, Kolorit, Stimmung ins Bild, beleben die Szene, akzentuieren die Handlung. Nicht selten haben sie tatsächlich eine dramaturgische Funktion — siehe etwa die „handelnde Vielheit” der revolutionären Sowjetkinematographie, die unter Sergej M. Eisenstein und Wsewolod Pudowkin Glanzleistungen auch der Massenregie hervorbrachte.

Gewiß, es gibt Filme, die ohne sie auskommen — sogenannte Zweipersonenstücke, wie zum Beispiel „Das Himmelbett”, das lediglich von Rex Harrison und Lilli Palmer bestritten wird. Man kennt sogar Zelluloidgebilde, in denen nur eine Figur auftritt (nach Dichtungen von Jean Cocteau wurde solcherart experimentiert). Aber das sind verschwindend geringe Ausnahmen, höchst sporadische Einzelfälle.

Ein Komparse ist nach der Definition eines italienischen Filmlexikons eine „Person, die im Hintergrund des Bildes an einigen Szenen mitwirkt, ohne jedoch ein wesentliches Element der Handlung darzustellen, nur als Teil einer Menge oder Masse”. Begriffsbestimmungen anderer Quellen sprechen zudem von einem „stummen Darsteller”, einer „stummen Nebenperson” im Theater oder beim Film. Das Wort ist lateinisch-italienisch-französischer Herkunft und bedeutet im eigentlichen Sinne „Teilnehmer”. Man kennt dafür auch die Bezeichnung „Kleindarsteller”, „Figurant” (eine nebensächliche Gestalt) und „Statist” (ein nur „dastehender” Schauspieler). Die Komparserie ist die Gesamtheit der Komparsen, die auf der Leinwand erscheinen.

Diese Gattung ist so alt wie das Lichtspiel selbst. Es gab und gibt sie überall, im Osten wie im Westen. Die ständige Perfektionierung der Technik macht sie in immer größerem Umfang erforderlich (die Breitwandverfahren schrien geradezu nach dem Kollektiv). Vor allem die großen Produktionszentren, etwa Hollywood oder die römische Cine- cittä, sind ihr Arbeitsgebiet. Die Aufnahmeleiter engagieren sie. Vermittlungsstellen sind Berufsverbände, Gewerkschaften, sogenannte „Filmbörsen”, wo man sie mitunter wie eine Ware handelt. Je nach den Erfordernissen werden sie stunden- oder tageweise verpflichtet. Die Entlohnung hält sich in bescheidenen Grenzen. Sie alle sind und bleiben anonym. Das Publikum kennt ihre Namen nicht. Diese werden nie im Titel genannt.

Da sie aber dennoch „jemand” sind, keinesfalls als nebensächlich, unbedeutend, als personelles Beiwerk abgetan werden wollen, haben die amerikanischen Komparsen sich, selbst einen Preis, eine Art „Oscar”, gestiftet. Wie der reguläre „Academy Award” wird er in verschiedenen Kategorien vergeben — zum Beispiel für die „beste Darstellung in einer Menge”, die „beste Interpretation im griechischen oder römischen Gewand”, den „besten Tod” (!), die „beste Ausdruckskunst, der es gelang, die Aufmerksamkeit der Zuschauer vom Hauptdarsteller abzulenken” —, was, da die Stars es zu vereiteln trachten, gewiß nicht einfach ist.

In einem bekannten Hotel von Hollywood, das übrigens zu den Stiftern des Preises gehört, wurde die Auszeichnung vorgenommen. Die Namen der Sieger gab man allerdings nicht bekannt. Das ist zwar „standesüblich”, entspricht der leidigen Berufstradition; aber vielen erscheint die Geheimhaltung unverständlich und unnötig. Warum prämiiert man unter solchen Umständen überhaupt? Nur unter sich, für sich — das ist wenig sinnvoll, hat keinen Zweck. Aus diesem besonderen Anlaß könnten die ewig Anonymen, die namenlosen Leinwandhelden, doch etwas tun, was ihnen ansonsten versagt ist: legitim an die Öffentlichkeit treten, auf sich und ihr Können aufmerksam machen.

Schließlich gibt es für einen solchen Aufstieg illustre Beispiele. Mehr Stars, als man gemeinhin annimmt, begannen als Statisten. Um nur einige wenige Namen zu nennen: Rudolph Valentino, Clark Gable, George Marshall, Victor Mature, Ray Milland, David Niven, Alberto Sordi, Alan Ladd (dieser aus purem Trotz), Gary Cooper (der ursprünglich nur ein Cowboy von vielen war). Auch unter den Darstellerinnen sind solche Fälle zu verzeichnen — von der berühmten Arletty bis zu Simone Signoret, von Jeanette MacDonald bis zu Merle Oberon.

Apropos Regisseure: Einigen unter ihnen, auch und gerade solchen mit Rang und Namen, machte es immer wieder Spaß, meist in eigenen, aber auch in fremden Filmen als Komparsen aufzutreten. Dazu gehörten und gehören; Eisenstein, Pudowkin, Hitchcook, Huston, Käutner und andere. Das spricht doch nur für die Gattung, vor der man mehr Respekt haben sollte. Leider fehlt es daran häufig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung