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Prometheussaga

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Man hat mich gebeten,’ einige erläuternde Worte zu dem von mir in letzter Zeit in London gemalten Deckenzyklus „Die Prometheussaga" zu sagen, der in diesem Jahre in der Biennale zum ersten Male öffentlich gezeigt wurde. Auf die Gefahr hin, daß ich mich mit dieser Erklärung nicht zeitgemäß äußern werde — meine Entschuldigung soll sein, daß ich zeit meines Lebens nicht malte, wie es die Mode verlangte —, bekenne ich hiemit, daß ich in diesem, was zumindestens die Ausdehnung betrifft, größten Gemälde von meiner Hand, bewußt und mit Absicht alle Tabus mißachtete, die heute internationale Geltung haben. Diese Malerei sollte gegenständlichen Inhalt und Raum aufweisen, wie es dem Europäer, der mit seiner Geschichte verbunden ist, entspricht.

Ich zeige eine Raumkonzeption, welcher ich bewußt die in der Barockzeit entdeckte vierte Dimension der Bewegung zufügte, die dem Beschauer erlaubt, die Malerei gewissermaßen in der Zeit zu lesen, in

Rundfunkvortrag, gehalten in der Sendung „Im Scheinwerferlicht", Sendergruppe „Rot- Weiß-Rot .

der Abfolge der geschilderten Begebenheiten von Anbeginn zu Ende. Ich sehe voraus, daß dieses Bekenntnis dem abstrakten Maler als eine Blasphemie erscheinen muß, seitdem einst unter dem Diktat der Fauves in Paris die Reduzierung der Bildvorstellung in die Zwei- dimensionalität. als ästhetische Hauptregel befolgt wird, welche unbestritten sein mag, solange es sich bloß um die Lösung der Aufgaben dekorativen Wandschmucks handelt. Wenn jedoch die Zwei- dimensionalität mehr eine Weltanschauung der Jünglinge mit langem Kopfhaar und Vollbärten ausdrücken soll, die heute in allen Großstädten der Welt, in Kon- ventikeln das Daseinsproblem der neuen Gesellschaft diskutieren und welche am liebsten mit der europäischen Tradition auch ihre Kleider ahstreifen möchten, um als Sanskulotten die Weltrevolution vorzubereiten, die noch das Zurück zur Natur Rousseaus zu übertreffen hätte, da fasse ich mich in meinen Jahren in Geduld. Jeder Generationswechsel hat noch erwiesen, daß der schäumende Most zum Wein vergärt. Auch die im politischen Felde von vielen gefürchtete Gefahr, daß der Mensch unpersönlich werde und zum Isotyp bürokratischer Statistik sich verwandle, dürfte übertrieben sein. Ich habe mit Vorwissen und Überzeugung zurückgegriffen zu den geistigen Ausdrucksmitteln jener Tage, bevor die europäische Gesellschaft noch im Begriffe war, ihre eigene Kultur zu mißachten und zur Anbetung der Maschine neigte, wie der Wilde, der das Feuer anbetet, das er erzeugte. Wie ich glaube, ohne mich einer geistigen Entlehnung oder Plünderung schuldig zu machen, bewahre ich bewußt die künstlerische Tradition Europas. Meine Ansicht ist, daß nicht jede Generation beim Urzustand beginnen muß, daß der bildende Künstler das Theoretisieren den Dogmatikern zu überlassen hat.

Vom Standpunkt des gesellschaftlichen Lebens aus gesehen, bin ich, als aktiver Teilnehmer im ersten und als passiver im zweiten Weltkrieg, zur Ansicht gekommen, daß die Aufgabe des bildenden Künstlers die Gestaltung seines Sehererlebnisses und im weiteren Sinn des Daseins bleibt, denn die Auflösung, Zerstörung, Typisierung und Atomisierung des persönlichen Lebens ist bereits zu weit gegangen: bis ins Innerste des Menschen, bis in seine Psyche, wenn auch Psychoanalyse keine Hilfe bringen kann. Einer solchen Gesellschaft, die Gefahr läuft, proletarisiert zu werden, ist Rückbesinnung am nötigsten, damit wir nicht erleben, daß jeder einzelne in intellektueller Überheblichkeit sich für berufen hält, das Zerstörungswerk zu betreiben, in der Annahme, daß der gewisse fatale, lose Dachziegel bloß den Schädel des Nachbarn treffe. Wenn nicht ein waches soziales Gewissen, sollte wenigstens eine Vernunftüberlegung dem bildenden Künstler sagen, daß eine Kunstsprache, die nicht mittelbar ist, sinnlos wird, wenn sie das Erlebnis, das unser Menschentum immer wieder erneuert, als Botschaft vom Ich nicht weiterträgt zum Du. Das Erlebnis ist es, was uns eigentlich aus einer Herde zum Menschen macht. Ebenso sinnlos ist die Existenz des Ästheten im elfenbeinernen Turm. Das ist ein unnützes und ungeselliges Dasein wie in einem Bunker oder unter der Erde. — Wir Künstler dürfen nicht vergessen, daß schließlich und endlich die Welt sich nicht für einen allein und nicht für uns sich dreht. Ich weiß, daß besonders der junge Kunst-ten Männer anmarsdiieren sahen. Aber dann gab das kleinste, Gabriele, das Zeichen: „Der Christbaumschmuck ist dal" lind nun traten alle heran und bekamen ihr Teil an Ketten und Sternen. Und jedes der Kinder durfte den kleinen Baum in seinem Barackenzimmer selbst behängen,, wie es jedem gefiel. Und jeder kleine Baum hatte auch eine Kerze. Der große Baum auf dem Schneeberg hatte viele. Er bekam auch die meisten Ketten und Sterne.

Noch bevor die Kinder mit dem Lagerpriester „Stille Nacht“ sangen, ging die kleine Gabriele mit den Janko-Buben und dem Posten ins Gefangenenlager hinüber. Die Janko-Buben trugen einen Korb, den ihnen der Sergeant geliehen hatte. In dem waren ein Paar Wollsocken und ein Paar Fäustlinge und eine Flasche Schnaps, von der niemand wußte, wie sie in den Korb gekommen war, und ein Hemd. Das Hemd aber war von dem Amtsrat B., und däs war der, der den Russen die versteckten SS-Offiziere verraten hatte, und mit d m seither niemand mehr sprach.

Emil — so erzählten die Janko-Buben später — saß allein vor dem Ofen im Vorraum der Krankenbaracke. Er hatte sich gewaschen und seine Haare seien noch ganz naß in die Höhe gestanden. „Frohe Weihnachten", sagte die kleine Gabriele. „Das sollen wir bringen und uns bedanken dafür, daß Sie den Christbaumschmuck gemacht haben. Für die Sterne und die Ketten. Nichts ist aus einandergerissen. Ich habe den kleinsten Stern von allen. Er ist der schönste."

Emil saß auf seinem Dreifuß, die Hände auf die Knie gestützt. Es rann ihm wieder aus den Nasenlöchern und den Mundwinkeln und tropfte auf die Hose.

„Der Sani hat dann gesagt, wir sollten hineingehen zu denen im Bett“, erzählten die Janko-Buben weiter „Für die batten wir aber nichts. Und Stille Nacht konnten wir auch nicht singen, weil wir beide ja überhaupt nicht singen können, und die Gabriele allein wollte auch nicht. Aber der Posten hat gesagt, wir sollten gehen. Und er hat uns jedem „Plugari“ gegeben, und es hat gelangt, genau. Für jedes Bett eine Schachtel Zigaretten. Und stellen Sie sich vor: der eine hat gesagt, ich solle ihm gleich eine anzünden, er hätte nämlich keine Arme. Man konnte das nicht selber sehen, weil er ganz zugedeckt war. Ich habe ihm eine angezündet. Wir haben uns gar nicht gefürchtet.“ '

Sie traf die Janko-Buben, die in der Mitte die kleine Gabriele führten, als sie an ihrer Baracke vorüberkamen. „Gleich, ganz gleich ist Weihnachten", sagte die kleine Gabriele. „Und stell dir vor, der Emil hat gleich bemerkt, daß der eine Zopf offen war, und er hat ihn frisch geflochten und den Spagat darangemacht. Er hat gesagt: „Christkindlhaar, das kann ich nun nicht so einfach schneiden.“

Sie sah ihnen nach und wußte es gewiß: sie fürchteten sich nicht.

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