6660552-1960_03_15.jpg
Digital In Arbeit

Verschiedene Formen von Naivität

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bestände des Oesterreichischen Museums für Volkskunde in der Laudongasse sind so reichhaltig, daß durch chronischen Platzmangel bedingt nur ein Teil davon gezeigt werden kann. In dem Bestreben, auch sonst nicht ausgestellte Objekte dem Publikum zugänglich zu machen, wurde nun eine kleine, aber ausgezeichnet gegliederte Ausstellung arrangiert, die die erste einer ganzen Reihe sein soll. Sie heißt „Volkskunst der Ostkirche“ und ist gerade jetzt, in der Zeit der Fühlungnahme Roms mit der Orthodoxie, von besonderem Interesse. Die bedeutendsten Stücke darin dürften wohl einige Ikonen sein, an deren Spitze künstlerisch eine Palmsohntags-Ikone aus dem 15. lahrhundert und zwei Muttergottesdarstellungen aus dem 16. Jahrhundert aus Rylsk und Ostrow stehen. Nach dem orthodoxen Glauben Selbstdarstellungen des Heiligen durch das Medium des Malers, sind sie im Geist etwas vollkommen anderes als die Heiligendarstellungen des Westens, wie auch durch eine Gegenüberstellung ersichtlich gemacht wird. Unter den anderen bildlichen Darstellungen — die plastische ist der Orthodoxie ja fast vollkommen fremd — fallen besonders zwei der heiligen Maria mit der Leiche der heiligen Euphemia und eine Madonna im brennenden Dornbusch auf, die äußerst interessanten“ Trimorphon-DarstelTuhgeri fMafTa*4miT“ dem Kinde, der Gekreuzigte, der heilige Nikolaus), die in den Farben so verschiedenen Hinterglasbilder aus Rumänien und der Ukraine und bemalte rumänische Weg- und Grabkreuze, deren Formvorstellungen noch im 20. Jahrhundert Verbindung zu sehr frühen Menschendarstellungen, zu serbischen Heldensteinen und katalanischen Fresken haben. Dazu kommen mit religiösen Motiven in schönen Grün- und Cckertönen bemalte Bauernkeramik, reich geschnitzte Handkreuze und Weihebrotstempel. Menschlich berühren auch Arbeiten von russischen Kriegsgefangenen des ersten Weltkrieges in Oesterreich, in denen sie in Kirchennachbildungen, eine davon seltsam „abstrakt“, religiösen Gegenständen und Geräten ein Stück Heimat in die Fremde zu verpflanzen suchten. An ihnen ist das Volkskunstmuseum besonders interessiert und würde es begrüßen, wenn sich etwaige Besitzer melden würden.

Im „Zöllner“ Henri Rousseau lebte noch viel von der unmittelbaren naiven Ausdruckskraft und Formbegabung der Volkskunst. Auf seinem breiten Rücken hat der Kunsthandel die Sünden vieler sogenannter Nachfolger „naiver Maler“ abgeladen, die im Grunde nichts anderes sind als Amateure und Dilettanten. Auch Schmuel B1 u m b e r g, ein „naiver“ Maler aus Israel, der in der Galerie Fuchs ausstellt, gehört zu ihnen. Seine großen biblischen Bilder ohne Komposition haben weder Form noch Zeichnung, das Kolorit ist leblos und hart. Nur in kleinen, anspruchslosen Formaten: „Synagoge“, „Betende Juden“, „Jerusalem mit dem Oelberg“ gibt es Stellen, die, da die Bilder der Prätention entbehren und erlebt sind, emotionelle und malerische Werte haben. Blumberg hätte hier einen Ansatzpunkt zu besseren Bildern.

Die „10 optischen Gestaltungen“, die Marc Adrian in der Galerie „Junge Generation“ ausstellt, sind zum Teil amüsante, zum Teil hanebüchene Scherze. Es ist nicht möglich, die Calder-schen Mobiles dadurch ad absurdum zu führen, daß man an die Stelle des ästhetischen Blechs (das sie schließlich sind) Steine, Schrott und Holzlatten hängt. Das ist letzten Endes eine ebenso ästhetische — nur unoriginellere — Spielerei. Etwas anderes sind die farbigen Konstruktionen hinter geripptem Glas. Ihre optischen Reize lassen die „kinetischen“ Augentäuschungen Vasarelys plump erscheinen und sind eine für dekorative Zwecke nutzbare Idee. Das Wort „Gestaltungen“ ist für die Ausstellung zu hoch gegriffen. Im Begleitwort, das auf dem Plakat abgedruckt ist und ein typisches Beispiel automatistischer Prosa — die bekanntlich geschrieben wird, ohne zu denken — darstellt, überfordert die Naivität des Verfassers entschieden die des Lesers.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung