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10.000 Tote in Jordanien

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Vor einem Jahr — genau: am 10. Juni 1967 — konnte man auf der ersten Seite unserer Zeitungen, neben Belanglosem, die ungeheuerliche Nachricht lesen: 10.000 Tote in Jordanien. 10.000 Tote in Jordanien.

Soraya jetzt in Paris.

Eine neue BB: Beatricens Baby.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf usw. bis 10.000.

Und jeder will gestorben sein,

Und jeder auf seine besondere Art,

Nicht einfach jeder von einer Granate zerrissen,

Sondern schwer verwundet und dann kam keiner verbinden; Oder: Nur leicht verwundet und es kam Brand dazu.

Freilich können wir nicht anfangen von Schicksal zu sprechen. Wo kämen wir denn da hin! Haben sie dort überhaupt eins? Der König, ja, der diese englische Sekretärin geheiratet hat, der hat.

Wie er erschüttert war, der Arme, und unrasiert, als er,

Immer noch jugendlich-telegen, seinem Volk aus dem Fernseher zuflüsterte: Viele starben!

Ein, zwei, drei… wenn man sie alle hier nur zählen wollte, Nicht etwa aufzählen! So viele Namen, nicht auszudenken. t—• Nur zählen,

Jedem eine schmale Zeile, die Seite zu fünf Spalten, sie gingen

Trotzdem nicht alle hinein in die Zeitung, die 10.000,

Der ganze Zug der Zehntausend, deren Autor nicht Herodot ist,

Sondern Nasser und Hussein, und noch eine Reihe anderer Autoren, die zu bescheiden sind, um auf ihre Autorenschaft Wert zu legen.

Aber es ist, Liebes, keiner zuviel gefallen!

Wären sie nämlich jetzt nicht tot, Würden die übrigen Mitglieder der VAR (Die genausolange brüderlich vereinigt waren,

Als man brauchte, um die 10.000 zu töten, nämlich drei Tage) Dem kleinen König die Schuld an der Niederlage geben.

Da ist es doch wohl besser, sie sind tot! Sie selbst würden es Einsehen, weil es den König noch viel mehr kränken würde Als die 10.000 Toten.

Es hätten ja nicht unbedingt ganz so viele sein müssen.

Aber der König würde auch über 9000 Tote schon ebenso traurig

Gewesen sein, und die gleiche Unfähigkeit sich zu rasieren gezeigt haben

Wie bei 10.000 Toten. 1000 Tote auf oder ab können an den Gefühlen

Eines Königs nicht ändern. Geht es doch mit Gefühlen wie mit dem Lärm, Bereitschaft,

Für den wir auch eine logarithmische Aufnahmebereitschaft Haben. 1000 Tote können die Gefühle dessen, der 10.0.00 auf sein

Gewissen genommen, nicht ändern, können dieses Gewissen Nicht noch mehr belasten,

Als es ohnedies belastet ist durch die Furcht,

Es könnte sich diese Niederlage auch auf das angeschlagene Königtum auswirken.

Anders wäre es, wenn es nur 1000 Tote gegeben hätte,

Was sozusagen eine Dezimierung der Toten, die es in Wirklichkeit gab, bedeuten würde.

Da hätte der König bei seiner Ansprache auch nicht

Unrasiert zu sein brauchen,

Er hätte sogar ein wenig lächeln können.

Aber es sind nun einmal 10.000 Tote.

Was hätte man mit 10.000 Toten alles anfangen können!

Die Deutschen zum Beispiel haben mit 10.000 Toten Polen erobert

Und einen Weltkrieg kassiert und was sonst noch alles eingekauft dafür.

Jordanien hat von seinem König die 10.000 Toten bekommen. Sonst nichts.

Wie gut, daß diese 10.000 Toten keine Gemeinschaft sind, sondern

Nur ein loser Haufen ohne jede Organisation.

So können sie auch keine Gewerkschaft, die unangenehm werden könnte,

Ins Leben — oder vielmehr — in den Tod rufen,

Um dann vielleicht Mindestforderungen

An ordentlichen Gräbern und Tränen und Generals- und Königsköpfen zu stellen.

Man könnte sogar aufatmen bei dem Gedanken

An die völlige Gleichgültigkeit, mit der die 10.000 die Dinge betrachten,

Die dem jungen unrasierten Herrscher so zu schaffen machen. Es würde einen bei seiner traurigen Lage nicht wundern, Wenn er sich wünschte, ebenfalls tot zu sein.

Was nicht heißen soll, daß er das wirklich wünscht, oder

Doch nur so, wie man sagt: Ich könnte die ganze Welt umarmen!

Was eben auch nicht geht, und schon gar nicht bei einem König,

Der ein so ausgiebiges Todesurteil zu unterschreiben geruhte. Und wenn der König nachdenkt — und was könnte einem Jungen Herrscher besser anstehn, als eine nachdenkliche Miene —, so wird er finden, daß

Die um 10.000 verringerte jordanische Bevölkerung

Auch einige Vorteile aus der von ihm geschaffenen Lage ziehen wird.

Wer kann zum Beispiel leugnen, daß

Das Wohnungsproblem dadurch einen gewaltigen Schritt vorwärts getan hat?

Und muß der König, der Führer seines Volkes,

Nicht auch solche Dinge ins Kalkül ziehen?

Er muß hart sein, hart im Nehmen. Noch so viele Tote

Dürfen ihn nicht wanken machen in seinem Vertrauen

Auf das Volk, das ja auch nicht wanken wird wegen 10.000 Toten.

Der König und sein Volk sind eins. Und wenn das Volk

Stirbt, dann rasiert sich der König nicht einmal.

Und wenn er dem Volk mitteilt, was auf dem Zettel steht. Von dem er die Mitteilung herunterliest, dann hat seine Stimme einen traurigen Klang:

Viele starben, sagt er, und es klingt, wie . wenn sein Kind (Das von der englischen Sekretärin)

„l am so sorry"zu seinen Eltern sagt,

Wenn es ein Spielzeug mutwillig ruiniert hat.

Und seine Eltern verzeihen ihm. Natürlich.

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