6790301-1970_33_15.jpg
Digital In Arbeit

„Als Roth im Bazar saß...“

Werbung
Werbung
Werbung

Festspiele finden wir heute an vielen Stätten der Welt, besonders im alten Europa. Fast könnte man sagen: Wo man hinspuckt, ist im Sommer ein Festspiel. Dies hat gewiß mit jener phänomenalen Errungenschaft zu tun, welche man den „Tourismus“ nennt.

Wo sollen die großen Cars mit ihren Reisegesellschaften hinfahren, wenn es in Rom zu heiß ist, in Griechenland zu politisch, und in Venedig zu sehr stinkt?

Da ist die Kultur immer noch ein neutrales und appetitliches Reiseziel, sie unterhält ihre Gäste, und nährt ihren Mahn.

Als man in Salzburg, vor einem halben Jahrhundert, zum ersten Mal den „Jedermann“ auf dem Domplatz spielte, gab es noch keine Autocars, und es gab — zwei Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges — nur eine bescheidene Anzahl von Privatwagen, zu deren Besitzern damals noch nicht die Regisseure, Schauspieler und Dichter gehörten. Die meisten Besucher kamen schlicht mit der Bahn, und begaben sich in einer Pferdedroschke, oder auch nur im prophylaktischen Regenmantel zu jener aufregenden Holztribüne mit den Sitzreihen, an der bis zum letzten Moment noch gehämmert wurde, und die so viele europäische Assoziationen weckt: Vom Amphitheater unter Griechenlands veilchenfarbe-nem Himmel, bis zu der Schaubude auf den Jahrmärkten unserer Kindheit.

Man könnte versucht sein, von einem bescheidenen Anfang zu sprechen, doch steckte in diesem glücklichen Fund, dieser Findung poetischer und theatralischer Imagination, das beste Teil des später gehobenen Schatzes: Der Gedanke und das Wort eines Dichters, die Kunst großer Darsteller und ihres genialen Meisters. Dort, vor der erhabenen Fassade des Doms, und im Hof der Residenz, dem unvergleichlichen Standort der Serenaden, waren die Salzburger Festspiele in ihrem Anfang schon Höhepunkt.

Wer die frühe Zeit der Salzburger Festspiele miterlebt hat, die Zeit, als es noch keine eigens dafür gebauten Bühnenhäuser gab oder diese erst im Entstehen waren, erinnert sich heute mit Staunen an den rapiden Aufschwung, das überraschende Erblühen, den sagenhaften Zustrom aus allen Ländern der Welt, den diese künstlerische Unternehmung, wie selten eine andere, herbeigezaubert hat.

Es ist kein Zweifel, daß der Zauber des Ortes dabei eine große Rolle spielte.

Anderseits darf man wohl sagen, daß das Publikum, wie es mehr und mehr von den großen Namen der mitwirkenden Künstler und von dem herrlichen Musikprogramm angelockt wurde, bis gegen Ende der dreißiger Jahre durchaus elitehaften Charakter besaß — genau gesagt: Bis zu jenem für Österreich und die Welt so verhängnisvollen Jahr 1938.

Das soll nicht heißen, daß ein Elitepublikum auf alle Fälle das beste ist. Die Gestalt des Snob ist in einer nicht mehr von den großen Erbgeschlechtern, sondern von Finanz und Industrie, von bürgerlichem Wohlstand und wandelbarem Reichtum formierten Oberschicht unvermeidbar, unübersehbar, und sogar von einer gewissen stimulierenden Bedeutung für das künstlerische Leben. Ihm eignet nicht das sichere Qualitätsgefühl, das souveräne Niveau jener Adelskreise, der weltlichen und geistlichen Standesherrn, wie sie früher die Künste gefördert haben und die Stilbildung geprägt — dafür ist seine Haltung naturgemäß liberaler, mehr kosmopolitisch und weniger autoritär. Ein Snob muß nicht, aber er kann ein Mensch von hervorragendem Kunstverstand sein, doch wird er immer den der produzierenden Künstler höher einschätzen als seinen eigenen, und er denkt nicht daran, diese 1s seine Angestellten, Untergebenen oder Lieferanten zu betrachten.

Unter den Besucherscharen der Salzburger Festspiele, unter den bunten Gestalten, sonderbar aus Genießenden und Schaffenden zusammengesetzt, die mittags über die Salzachbrücke spazierten und abends im Foyer des Festspielhauses umherwandelten, gab es stets eine glücke liehe Mischung von Paradiesvögeln mit tausend Koffern und Reisenden ohne Gepäck.

In diesen spätsommerlichen Wochen, gegen Ende schon in vorherbstlichen Duft gehüllt, war diese Stadt, die sonst so geruhsam vor sich hin lebende, wahrhaft verhext. Es konnte geschehen, daß man gegen Abend mit dem großen österreichischen Autor Joseph Roth im „Bazar“ verabredet war, und sich gegen Morgen mit dem großen amerikanischen Autor Thorn-ton Wilder beim letzten Bier im Bahnhofsrestaurant wiederfand, und das konnte nur so sein, daß sich der eine in den anderen verwandelt hatte, oder aber, man war selbst in einen anderen verwandelt worden, den es am Vorabend noch gar nicht gab, und so ging es mit den Männern und mit den Frauen und mit all diesen unvermuteten, traumwandleri-schen Sommernachtsbegegnungen...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung