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Bilanz und Auftrag

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Das Geburtstagskind, das wir feiern, ist ein Geschöpf, das von Geburt an ein wenig anstrengend war. Strapaziös nicht nur für diejenigen, die dieses Kind in die Welt setzten und aufzogen, nein, noch strapaziöser, so fürchte ich, war es für jene Menschen, die den Lebensweg dieses noch durchaus jugendlichen Jubilars kreuzten —und zwar 4n und außerhalb der Bannmeile von Pfarrhöfen.

Von zartester Kindheit an war dieses Geschöpf ein eigenwilliges und aufgewecktes Wesen. Vor allem hatte es immer wieder neue Ideen. Während anderswo tagelang Konferenzen alle Schleusen der Beredsamkeit öffnen, Offizielle und Inoffizielle in Enqueten und Tagungen die Verderbtheit der heutigen Jugend beklagen, hat unser Geburtstagskind weniger geredet, aber um so mehr getan. In drei Lichtstafetten stellte es im buchstäblichen Sinn ganz Österreich auf den Kopf, in der Sternsingeraktion zaubert es Jahr für Jahr den Österreichern viele, viele Millionen für Spitäler, Kirchen, Internate in Übersee aus der Tasche, in allen Kontinenten sind schon Fahrzeuge unterwegs, die unser Geburtstagskind ersungen hat, die Schuhputzerbuben in Korea erhielten Kinderdorfhäuser, die Indianer in Bolivien einen Katechismus, die Leprakranken auf Neuguinea ein Spital — um nur ein paar Beispiele zu nennen. Katholische Jungschar — etwas ganz Neues

Wenn wir uns heute, nach 20 Jahren, fragen, wo Leistung und Versagen, wo Erfolg und Mißerfolg dieser Katholischen Jungschar zu verzeichnen sind, dann soll hier der Versuch einer kurzen, nüchternen Bilanz gemacht werden. • Die Katholische Jungschar ist etwas ganz Neues, auch heute noch, nach 20 Jahren. Nie ging es darum, den vielen Organisationen in Österreich eine x-beliebige neue hinzuzufügen. Nie ging es nur um äußeren Klimbim, wiewohl man den nicht ganz ausschalten kann. Nie ging es um Positionen oder Monopolstellungen, nie um Statistiken von Vereinsmitgliedern, wie überhaupt das bürokratische, das apparathafte Element stets unterentwickelt war, manchmal — so schien es fast — allzu stark unterentwickelt.

Die Hauptaufgabe hingegen stand Immer im Mittelpunkt. Es ging und geht darum, Menschen heranzubilden, die wenigstens annähernd begreifen, was Christsein in unserer Zeit bedeutet. Jungschar will keine Duckmäuser, keine blinden Jasager, keine Weihwasserschwengel. Jungschar will nicht vor der „bösen Welt“ bewahren, wie das lange als katholisches Erziehungsprinzip gegolten hat. Jungschar will vielmehr junge Christen vorbereiten, Verantwortung zu übernehmen, später einmal am Bau einer neuen Welt mitzuarbeiten und diese Welt zu verändern. Nicht Glassturz und Defensive waren und sind das Prinzip der Jungschar, sondern das Hinausgehen zu den anderen, die Offensive.

Heute, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, klingt das alles nicht mehr sehr aufregend, obwohl wir als Realisten sehen müssen, welche psychologischen Schwierigkelten Teile unseres katholischen Volkes, manche Laien und Priester haben, wenn sie dem Appell des Konzils folgen sollen und das sichere katholische Getto von gestern und vorgestern verlassen. Wie sehr mußte es erst vor 20 Jahren da und dort Mißtrauen erregen, wenn sich plötzlich etwas Neues an Stelle des Traditionellen etablierte?

Gebrannt von den bitteren Erfahrungen der totalitären Zeit, spürten wir aber in jenen ersten Nachkriegsjahren, daß sich die junge Kirche nach der Katastrophe neu präsentieren mußte. Sie durfte nicht in den Sakristeien warten, nein, sie mußte zu den Menschen hingehen, zu ihnen kommen. Und da es uns wenig sinnvoll erschien, die jungen Menschen ausschließlich erst dann anzusprechen, wenn sie bereits den Glauben verloren hatten, gingen eigene Teams daran, sich mit den Buben und Mädchen im schulpflichtigen Alter zu befassen.

Ich möchte allerdings gleich dementieren: Die gute alte Zeit war keine gute alte Zeit. Dekanatsführungskreise mit zwei Teilnehmern bildeten durchaus keine Ausnahme. Es bestand noch keine ausreichende Führungsmethode. Manche Experimente führten in eine Sackgasse. Andere wieder brachten Erfolg.

• Das „Neue“ der Jungschar präsentiert sich Öi neuen Grundsätzen. Zuerst nur recht unbestimmt, dann immer klarer stellte sich heraus, daß die Zeiten der klassischen Jugendbewegung dem Ende zugingen. Diese Jugendbewegung konnte in den zwanziger und dreißiger Jahren unendliche Verdienste verzeichnen. Heute wissen wir aber auch, daß eben diese Jugendbewegung mit ihrem stark romantischen Einschlag auch zu einem verhängnisvollen Abseitsstehen, ja zu einer Protesthaltung wertvoller junger Menschen gegen die industrielle Welt, gegen die Zivilisation, gegen die Technik führte. Die verhatschten Absätze katholischer Mädchen waren lange genug symptomatischer Ausdruck der Verachtung für jene Dinge der Welt, der man sich im Grund genommen nicht zugehörig fühlte. Draußen, beim Lagerfeuer, in den Zelten, dort war das „Reich der Jugend“, das man suchte — keinesfalls aber im Schatten der Fabriksschlote und der Zinskasernen, schon gar nicht im Rhythmus moderner Musik.

Wie haben sich hier die Dinge gewandelt! Die drei großen Lichtstafet-. ten aus Mariazell, Lourdes und Jerusalem zeigen dies in eindringlicher Symbolik an. Jungschar sucht nicht die blaue Blume eines idealistischen Jugendreiches am Rande der Gesellschaft. Nein, sie will das Dicht des Glaubens möglichst überall hinbringen, sie trägt es auch in windschiefe Baracken und altersschwache Mietskasernen, ohne lange zu fragen nach der Vergangenheit, nach Klasse, Stand oder Farbe. Jugend muß nicht auf ihren Auszug aus der Gesellschaft vorbereitet werden, sondern ganz im Gegenteil: Schon als Bub und Mädchen soll sie Christus in die Elternhäuser und Schulen tragen, um bereit zu sein, später einmal im Beruf, in der Familie, im öffentlichen Leben, in einem kirchlichen Dienst voll verantwortlich wirken zu können. Voll verantwortlich: das heißt, als bewußte Christen, als Glieder der Kirche, die ihre Botschaft allen Menschen zu künden hat.

Lange nicht alles, was die Katholische Jugend im allgemeinen und die Katholische Jungschar im besonderen in den ersten Nachkriegsjahren erhoffte, ist in Erfüllung gegangen. Diese Auffassung von der Kirche jedoch ist in den vergangenen Jahren doch so ziemlich zum Allgemeingut der österreichischen Katholiken geworden. Ein Erfolg, der wohl nur durch die Mühe und Plage, durch den ganzen Einsatz von so vielen tausend jungen Menschen, von Priestern und Laien, errungen werden konnte!

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