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Die Kinderfragen, die Väter können nicht antworten

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Das Riesenspiel”, der neue Roman von Wolfgang Roesch, verdient nicht bloß wegen seiner literarischen Qualitäten besondere Beachtung. Gleichzeitig nämlich bildet der Text die historische Basis für den gegenwärtig notwendigen Kampf gegen jede nationalsozialistische Wiederbetätigung. Da gibt es im Buch im Jahr 1938 erst einmal Jakob Sörgel, den akademisch gebildeten Landmann mit Zivilcourage. Er scheint über den Dingen zu stehen. Trotzdem bringt es seine junge Freundin vorerst nicht über sich, ihm etwas zu gestehen, was ihr selbst vollkommen fremd ist: ihr Judentum. Ihre Herkunft wird aber bekannt. Die rettende Heirat wird durch den allgemeinen vorauseilenden Gehorsam den neuen Herren gegenüber verhindert. Die Frau überlebt das Dritte Reich im Versteck. Der Versuch einer Nachkriegskarriere als Schauspielerin scheitert. Der Tod kommt als Erlöser.

Erst der Toten ist es vergönnt, nicht nur auf die Geschehnisse während unserer NS-Vergangenheit zu blicken, sondern auch, quasi unsichtbar, „unter uns” zu leben. Endlich kann ausgekundschaftet werden, was sie als Lebende schon immer interessierte. Das Ergebnis ist vernichtend. Jene, die vor 1938 Zwergdemokraten österreichischer Provenienz waren, sind zu braunen Riesen mutiert, um gleich nach 1945 rasch als wiedergeborene Demokraten das ihnen angestammte Zwergenmaß wieder anzunehmen. Rassenschande? War das ein unsinniges Wort! Natürlich wollte der

Landmann Sörgel mit seiner jüdischen Freundin auswandern. Alles mögliche und unmögliche wollte er tun, um seine Reziehung zur geliebten Frau zu retten. Er hat es aber nicht getan. Die Kinder fragen und die Väter können nicht antworten. Dem Leser bleibt die Tragödie. Es bleibt ihm das Mitleid mit allen Geschlagenen dieses Jahrhunderts. Es bleibt ihm die Furcht vor möglicher Wiederholung und dazu der Wille zum Widerstand. Es bleibt ihm während der Lektüre auch ein erstarkendes Verlangen nach Glaube, Hoffnung und Liebe.

Mehr kann von einem Ruch nicht verlangt werden.

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