6757283-1967_51_24.jpg
Digital In Arbeit

Briefe als Kostbarkeiten

Werbung
Werbung
Werbung

HERZSCHLAG DER ZEITEN. Briefe aus acht Jahrhunderten. Von Johann Zimmermann. Verlag Ehrenwlrth K. G.. Manchen, 1867. 866 Selten. DM 18.76.

„Ich erwarte Dich zum Abendessen“, schreibt Petrarca an einen Freund, „aber bedenke, daß hierorts keine Leckerbissen verkauft werden. Es wird ein Essen für Poeten, nicht gerade wie Juvenal und Flaccus, aber wie Vergil sein: ,Reife Äpfel, weiche Kastanien, frisch gemolkene Milch.' An konsistenteren Dingen wirst Du einfach aufgebackenes Landbrot bekommen, einen Hasen, der mir zufällig ins Haus lief, einen Kranich, den man mir aus fernem Lande schickte. Das ist was Seltenes, und vielleicht kommt noch eine reservierte Wildschweinschwarte dazu ...“, eine wahrhaft treffliche Metapher als Einladung zum Gastmahl der Lektüre dieses Buches „Herzschlag der Zeiten“.

Festhalten des Augenblicks, Vergegenwärtigung des Daseins sind ein Grundtrieb des Schöpferischen. Diese glücklichen Funde, offensichtlich das Ergebnis einer mit Liebe, Hingabe und Geschmack durchgeführten Suche nach geistigen, künstlerischen und menschlichen Werten,

stellen eine neue Blütenlese berühmter, aber auch unbekannter oder vergessener Briefe dar, meisterhaft zueinander geordnet, mit Texten und Kommentaren einbegleitet, was dieser Komposition über den Rahmen einer bloßen Sammlung hinaus schöpferische Qualität verleiht.

Diese persönlichkeitserfüllten Briefe legen Zeugenschaft ab vom Spannungsbereich menschlicher Beziehungen auf der weiten Ebene zwischen Ich und Umwelt. Es sind Dokumente gelebten Lebens, ein Zusammenklang von Stimmen aus acht Jahrhunderten zu einer europäischen Symphonie, ein Bilderbuch vergangener Zeiten, ihres Stils, ihrer Wertung, ihrer Sitten und Begebenheiten. Freundschaft und Liebe, Kunst und Wissenschaft, Religion, Weltanschauung und Politik sind die vielfältigen Motive ihrer Entstehung. Diese Briefe wurden nicht mit der in Tagen, oft nur Stunden hineilenden modernen Post befördert. Sie waren Ereignisse. Der Einfallsreichtum, die Mitteilsamkeit und Freunde am Sagbaren waren nicht gestört durch die Eilfertigkeit und Hektik späterer Zeit. In den zahlreichen Faksimiledrucken ahnen wir die magische Bedeutung der heutzutage verlorengegangenen Handschrift, die aus dem Geheimen, dem Inneren der Hand kam, und deren zauberhaften Gebärde nachzuempfinden wir in unseren Tagen kaum mehr imstande sind. Kostbarkeiten seltsamer Kontraste in den Brieftexten vereinigen sich zu einem harmonischen Ganzen, zu einem

festgefügten Buch von faszinierender Fülle. Da ist keine Zeile zuviel; ob nun Alexander von Villers einer kleinen Comtesse einen Brief „halb Bilderbogen, halb Krikellkrakel“ schreibt, der in ihrem Puppenschrank verwahrt wurde, einem Platz, den ihre Mutter „nicht für das goldene Bücherbrett in der kaiserlichen Bibliothek“ gab, ob Torquato Tasso von der Herzogin von Urbino seine Freiheit und Rückkehr an den Hof von Ferrara erfleht, oder Richard Wagner seinem Freund Theodor Uhlig sein Testament schickt, weil er sein Weiterleben als „unnützen Luxus“ betrachtet, ob sich Goethe gegenüber erzürnten Freunden wegen eines „unschuldigen Gemisches von Wahrheit und Lüge“ im „Werther“ rechtfertigt, ob Liselotte von der Pfalz über einen „verfluchten Ball“ und andere „verhaßte Divertissementen“, über Ärzte, die den kleinen Dauphin mit Brechmitteln in den Tod schickten, lamentiert, das alles gehört zu diesem Reigen von Gedanken und Emotionen großer Geister, freier Seelen, starker Charaktere, solcher Persönlichkeiten also, die über allen Zeitströmungen stehen. In der Wahl und Zusammenstellung zeigt die Herausgeberin besonderes Bemühen und einen auserlesenen Geschmack. Dazu ist die äußere Ausstattung des Buches ein visuelles Vergnügen.

Im Sinne Petrarcas sind also alle Liebhaber .von Leckerbissen zur Tafelrunde geladen. Unsere Reverenz ist der Gastgeberin Johanna Zimmermann gewiß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung