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Bücher der Erinnerung

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EINE KATHOLISCHE KINDHEIT. Erinnerungen. Von Mary McCarthy. Aus dem Amerikanischen von Maria Dessauer. 264 Seiten. Droemer-Knauer-Verlag-, München- Zürich. DM 15.80. — WUNDER DER KINDHEIT. Bilder und Impressionen. Von Monika Mann. 92 Seiten. Hegner-Verlag, Köln 1966, DM 12.80,

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EINE KATHOLISCHE KINDHEIT. Erinnerungen. Von Mary McCarthy. Aus dem Amerikanischen von Maria Dessauer. 264 Seiten. Droemer-Knauer-Verlag-, München- Zürich. DM 15.80. — WUNDER DER KINDHEIT. Bilder und Impressionen. Von Monika Mann. 92 Seiten. Hegner-Verlag, Köln 1966, DM 12.80,

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Die autobiographischen Aufzeichnungen Mary McCarthys — das amerikanische Original erschien 1946 — sind genau so schockierend wie der Roman „Die Clique“, wenn auch in anderer Hinsicht. Man mißverstehe diese Feststellung nun nicht in rein negativem Sinn. Denn hinter den teilweise erschreckenden Attacken der „abgefallenen Katholikin“, die versichert, in ihrer letzten Stunde keinen Priester rufen und keinen Reueakt erwecken zu wollen, scheint sich innere Bedrängnis und Selbstverteidigung zu verbergen, wenn sie das vielleicht auch bestreiten würde. Immerhin unterscheidet sie, bei aller kritischen Distanzierung vom Katholizismus, zwei Strömungen, die sie kennengelernt hat: „Den Katholizismus, den ich von meiner Mutter und den einfachen Priestern und Klosterfrauen in Minneapolis lernte und der im ganzen eine Religion der — wenn auch nur unvollkommen verwirklichten — Schönheit und Güte war. Und jenen Katholizismus, der im Empfangszimmer meiner Großmutter McCarthy und in dem Heim, das am Ende der Straße für uns eingerichtet wurde, in Übung war — einer bitteren verderblichen Doktrin, in der alter Haß und altes Rachegelüst seit Generationen schmorte und die Unwissenheit stolz das Umrühren besorgte..

McCarthy spricht auch ausdrücklich von allerlei Pluspunkten ihrer katholischen Erziehung; Dinge allerdings, die außerhalb des religiösen Bereichs liegen, und ihre Nutzanwendung klingt in katholischen Ohren ziemlich blasphemisch, wenn etwa die Begegnung mit den Heiligen instruktiv für das Studium der italienischen Malerei befunden wird. Wesentlicher die Feststellung, daß eine umfassende Einführung in die Welt- und Geistesgeschichte in den

USA nur in katholischen Schulen frühzeitig vermittelt werde, und zwar in einer Art, die „rebellische Nichtübereinstimmung“ züchte. In der Hinsicht hat sich McCarthy zweifellos als gelehrige Schülerin gezeigt. „Die Idee der reinen Verschwendung“ auch zählt sie als Gewinn auf, ebenso den Sinn für Geheimnis und Wunder.

Stärker ins Auge fallend in den Erinnerungen ist die Angriffslust der McCarthy gegenüber Tabus, und das nicht nur im religiösen Bereich. Bei der Lektüre des Buches drängt sich der Schluß auf, daß die Wurzeln ihrer Aggressivität in ihrer Kinder- und Jugendzeit zu suchen sind. Mit sieben Jahren verlor sie innerhalb von zwei Tagen ihre Eltern und wurde dann, zusammen mit ihren kleinen Brüdern, weitläufigen Verwandten anvertraut, deren „launenhafte Brutalität“ bei jedem gesunden Kind Widerstand züchten mußte. Später, im Hause der Großeltern mütterlicherseits, war die Atmosphäre auch nicht gerade „normal“. Dann folgen die Jahre in einem Sacrė-Cceur-Kloster, von denen sie mit melancholischer Anhänglichkeit berichtet; anschließend der Aufenthalt in einem episkopalischen Institut. Es laufen also sehr verschiedene Einflüsse in entscheidenden Entwicklungsjahren zusammen, die sich nicht zu harmonischer Einheit verbunden haben, jedenfalls nicht in diesem Buch.

Viele werden sich an den Herausforderungen der McCarthy stoßen, auch da, wo sie ins Schwarze treffen. Sie tun das durchaus nicht immer, aber auch dann sollte man nicht bösen Willen hinter ihnen wittern. Mir kommen diese Ausfälle wie Ungezogenheiten eines Enfant ter- rible vor, das aus seiner Haut nicht heraus kann, sich heimlich aber nach

Verständnis und Teilnahme sehnt, an denen es im Leben der McCarthy sicher gefehlt hat. Dafür kann auch der Riesenerfolg als Schriftstellerin schwerlich entschädigen. Wie sonst soll man die Melancholie erklären, die diese Erinnerungen überschattet.

Ein völlig anderes Bild der Kindheit zeichnet Monika Mann. Ihr kleines Buch ist keine Autobiographie; aber die verschiedenen Episoden, in denen sie „Wunder der Kindheit“ beschwört, spiegeln sicher eigene Erinnerungen und Erfahrungen.

Wir begegnen dem Kind Anna, das, behütet in seiner Umwelt, doch ein ganz eigenes Leben führt, in dem der Alltag voller Geheimnisse ist und Märchen Wirklichkeit werden. Fast schmerzlos vollzieht sich hier auch der Übergang zum Erwachsenwerden. Bedrängnisse und Fragen bleiben nicht aus; aber es gibt den uralten, sehr weisen und liebevollen Onkel Fips, der immer einen Ausweg und eine echte Antwort weiß. Annas Vertrauen, das er nie enttäuscht, schenkt ihr zugleich ein allgemeines Zutrauen zur Welt und den Menschen, das alle ihre Wege im Hellen münden läßt. Das hat nichts zu tun mit falscher Verklärung einer Lebensphase, die im Rückblick leicht verharmlost wird. Monika Mann zeigt nur, wie die Phantasie eines Kindes die Wirklichkeit verwandelt, wie es allmählich in die Realität hineinwächst und einen Schimmer des Wunders mitnimmt.

Monika Manns verhaltene Sprache, sparsam im Ausdruck, genau in der Formulierung und Aussage, ist dem, was sie erzählt, ganz gemäß. Ein schönes Buch, in das man immer wieder hineinschauen wird.

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