6664379-1960_24_11.jpg
Digital In Arbeit

Chronik der Freibeuterei

Werbung
Werbung
Werbung

Vor kurzem ist der italienische Frachter „Luisitta Croce“ in Genua eingelaufen. Er war an der afrikanischen Küste, auf der Höhe von Kap Palmas, auf ein Riff gelaufen. Bei Einbruch der Dunkfjlheiti passierjte' garm ,tw%s,.JdflfüqllyiWffod nicht besser hätte filmen können. 500 halbnackte Eingeborene enterten das Schiff, der Kapitän machte die Luken dicht und kroch mit der Besatzung unter Deck, während oben unter ständigem Gebrüll alles restlos demontiert wurde.

So ist Leips weitgespannte Chronik der Seeräuberei, von Salomon bis zu unseren Tagen herauf, von unerwarteter Aktualität. Die Piraten haben sich landwärts verschlagen und werken in der Wirtschaft, unterscheiden sich indes in nichts von den berühmten Wogenschlitzern, die die reichen Kauffahrer schröpften. Das überdimensionale Gesamtgemälde aus Blut, Teer und Salzwasser erzählt zu allen Zeiten dieselben Geschichten, die nicht in die Salons passen. Den Porträts ist kein Pinselstrich mehr hinzuzufügen: „Ansprung und Dreinhauen, Gebrüll des Obsiegens, der süße Schauer, jenseits aller Gesetze Macht auszuüben und Schätze einzuheimsen.“ Es juckt noch den Heutigen in den Zehen, wenn sie in tiefen Plüschgarnituren ttautes Bürgerglück atmen. Ihr Ventil sind Seeräuberlieder und die Taufe der Jacht auf „Störtebeker“.

Das ist kein Sachbuch eines Schriftstellers, der emsig in staubigen Quellen wühlte, sondern die großartige Freibeuterstory eines Seedichters, dem selbst die Windstärke 10 um die Ohren brauste, der selbst um Kap Horn segelte und sich nun in zuweilen klabautermännischem Sprachbehagen anschickt, Land- und Seeratten die Chronik menschlicher Schauertaten darzutun aus den munteren Tagen, da es keinen bargeldlosen Zahlungsverkehr gab, wo die See noch weit war, aber weiter das Gewissen, und sich die Besatzungen, vor Angst vergehend, unter Deck verkrochen, während oben das Enterbeil rasselte und die Freibeuter, die Verbalinjurien des seemännischen Jargons reichlichst verwendend, hausten — genau wie im Falle des italienischen Frachters.

Leips, des Seedichters, Gründlichkeit ist gepaart mit dem Drang, Subjektives und Pulsbeschleunigendes einzustreuen. Es gibt dem „Bordbuch des Satans“ reichen Ballast und mag ihm beim Schreiben menschlicher Urbegierden auf den sieben Meeren selbst diebisches Gelächter entlockt haben. Langweilig ist das Budj ng lfeif e| |teje. Dabjty faeyicj |ine reiche) gediegene Gedanken- und Tatsäcnenfracht, die frappiert und erfreut. Die mit Seekarten und farbigen Details reich garnierte Postille überwiegt die Gruselfreude bei weitem. Die Geschichte von Casars Gefangenschaft, Hamlets Freibeutertum, die Berichte von gefangenen Geistlichen und Ärzten, das Schicksal Zyperns, die Ereignisse um Makao und Insulinde sind interessanter als jedes Reisehandbuch. Altes ersteht neu. Henry Morgan, dessen Verdammung so umfangreich ist wie der neuerliche Versuch, ihn als reputativen Mehrer britischen Gemeinwohls zu estimieren, wird frisch porträtiert, Störtebeker Gloriole scheint etwas matter. Die Blitzmonographien, mit der Zimmermannsaxt zu-rechtgehauen, sind in keiner Zeile fad oder schwerfällig. Gewiß, die Freibeuterstory ist kein betulicher Bilderbogen menschlicher Schwächen, sie ist vielmehr ein blutrünstiges Gemälde des lasterhaften Machthabers Mensch, der ja nur immer den Schauplatz wechselt.

KUNDSCHAFTER DER EXISTENZTIEFE. Von

Karl Pfleger. Verlag Josef Knecht. Carolus-druckerei, Frankfurt am Main 1959. 284 Seiten.

Karl Pfleger, der Nestor deutsch-französischer geistiger Begegnung im katholischen Raum, der greise Seelsorger im Elsaß, hat in einem langen, reichen publizistischen Wirken sich bemüht, eine allzu linear, primitiv und flächig denkende Christenheit behutsam an das große Geheimnis heranzuführen: an den Menschen, wie er wirklich ist, in seinen Gründen und Abgründen. Pfleger, der Wegbereiter Bloys, Bernanos und Peguys im deutschen Raum, legt nun sechs Studien über Simone Weil, Max Picard, Peter Wust, Paul Claudel, Georges Bernanos und Reinhold Schneider vor, die in der Tiefe innig miteinander korrespondieren.

Es ist in den letzten Jahren oft bemerkt worden: Eine gewisse Theologie sei deshalb so ungläubig geworden, weil die ihr entsprechende Anthropologie ein allzu dürftiges Bild vom Menschen vorstelle. „Wie hältst du es mit dem Menschen?“ Das ist eine Gretchenfrage an den Christen in der heutigen Welt. Liebst du, Christ, den Menschen wirklich? Pflegers liebender Umgang mit 6echs Menschen, die für die Krise des Menschen und des Christentums in unserer Zeit, für beider Krise und beider mögliche Über Windung, repräsentativ sind, sollte von allen jener gelesen, studiert werden, die heu e so wenig Freude an Gott erfahren, weil ihnen der Mensch so flach trüb, seicht erscheint. Auf Pflegers Pfadfinderdienste hinab in die Tiefen des Menschen, in denen Unhci' und Heil oft so merkwürdig verbunden scheinen, dür fen einige Sätze Karl Rahners, in seinem Beitrag zur Festschrift für Erich Przywara zur Erhellung bezogen werden: „Der Mensch ist also wirklich, weil sein eigentliches Wesen als Geist seine Transzendenz ist, das Wesen des heiligen Geheimnisses. Der Mensch ist der, welcher es mit dem heiligen Geheimnis immer zu tun hat, gerade auch dort, wo er mit dem geheimnislos Nahen, Umgreifbaren und begrifflich Koordi-nierbaren umgeht“. Zumindest ein gelinder Schock sollte uns bisweilen ergreifen, wenn wir da inne werden: Wie taktlos sind wir nicht selten mit diesem Dichter, jenem Denker, diesem „ganz gewöhnlichen Menschen“ umgegangen. Pflege des Menschen und des Menschlichen, in Anerkennung und Ehrung jener Einsamen, die „hinab“ sahen und „hinauf“ stiegen, könnte an Hand dieser sechs Essays erlernt, erarbeitet werden.

Dr. Friedrich Heer

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung