Setz - © Foto: picturedesk.com / dpa / Helmut Fricke

Clemens J. Setz: "Gedankenspiele über die Wahrheit"

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Gedankenspiele: Clemens J. Setz’ kurzer Essay interessiert sich nicht für Wahrheit als Kampfbegriff, sondern für unerwartete und überraschende Formen dessen, wie sie sich vielleicht auch zeigen kann.

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Gedankenspiele: Clemens J. Setz’ kurzer Essay interessiert sich nicht für Wahrheit als Kampfbegriff, sondern für unerwartete und überraschende Formen dessen, wie sie sich vielleicht auch zeigen kann.

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Ihrem Roman „Stillbach oder Die Sehnsucht“ fügte die Schriftstellerin Sabine Gruber am Ende folgende zwei Nachträge hinzu: „Nach dem Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler am 31. Mai 2010 war Erich Priebke als Bundespräsidentschaftskandidat der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands im Gespräch.

Emma Manente starb am 7. Jänner 2011 im römischen Altersheim. Sie liegt neben ihrem Ehemann Remo Manente auf dem Campo Verano, Roms größtem Friedhof.“ Die erste Aussage ist historisch wahr. Sie lässt sich überprüfen. Wer allerdings am römischen Campo Verano das Grab der Manentes sucht, wird vergeblich suchen. Die Romanfigur Emma Manente ist ebenso fiktiv wie ihr Mann und ihr Grab.

Dieser Umgang mit Wahrheit ist aus der Literatur bekannt. Er nennt sich Fiktion. Und er kann möglicherweise ab und zu sogar dazu führen, dass Autorinnen und Autoren, die viel recherchieren und das gewonnene Faktenwissen dann in ihre Erzählungen einbauen, mit der Zeit den Überblick und die Detailkenntnis darüber verlieren, was nun real ist und was sie selbst erfunden haben – auf diese Weise entstehen oft interessante neue Wirklichkeiten.

Auch Leserinnen und Lesern kann so etwas passieren. Sie meinen sich an Zitate zu erinnern, zitieren sie oft und gerne; machen sie sich dann aber auf die Suche nach dem Beleg, lässt sich das so gewiss Erinnerte partout nicht mehr finden. Der Schriftsteller Clemens J. Setz beginnt seinen Essay über die Wahrheit mit einem netten Beispiel dazu. Der von ihm geschätzte Roger Willemsen habe, so Setz, gerne und häufig einen Satz von Franz Grillparzer zitiert. Dieser soll zum ersten Mal das Meer gesehen und hinterher in sein Tagebuch geschrieben haben: „So hatte ich es mir nicht vorgestellt.“

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