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DAMMERSTUNDE IM FURHLING

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Der Abend hat einen Regenvorhang über die Dächer gespannt. Rauschende Kaskaden stürzten aus dem blaugrauen Himmel auf die moosgrünen Wellenkämme der tropfensprühenden Firste.

Ich wandte mich gedankenvoll vom Fenster ab, um zurückzutreten in das sinkende Licht des Zimmers. Vor wenigen Minuten war ich vom Dachboden heruntergekommen und hatte einen alten, verstaubten Karton mitgebracht, der nun traurig auf,dem abgeräumten Zimmertisch stand. Mit der Schere schnitt,ich die ausgefaserte.Schnur, entzwei, und der Inhalt quoll über die hilflos schwach gewordenen Pappendeckelwände auf die große Platte hinaus.

Da lag nun jene Welt vor mir, an die einst ihre Besitzer einen Teil ihres heimlichsten Herzens verloren hatten. Es waren durchaus keine Werke, die Hausbibliotheken geziert hätten — im Gegenteil durchwegs wertlose Bücher, die dem Anspruch der Moderne bereits längst unterlegen sind. Mit Rosapapier umschlagene Poesiebändchen, Romane, die in Vergessenheit gerieten, veraltete Gedichtsammlungen, deren Inhalt für uns nie mehr ganz verständlich werden wird. Hin und wieder schimmerte aus der archivierten Unordnung dieser abgelegten Jugendzeit ein veilchenblaues Seidenbänd-chen hervor, das ein loses Bündel handbeschriebener Blätter in vergilbten Armen hielt. — Über allem lag der feine, zarte Spitzenschleier vieler dahingegangener Jahrzehnte, ein spinnwebdünner Flor von Alter, der von längst vergangenen Schicksalen erzählte, von Menschen, die uns einmal an der Hand geführt hatten, bevor wir noch selbst unsere eigenen Wege finden mußten.

Mein Blick fiel auf einen Vers, der auf ein loses Blatt hingeworfen, zufällig aus einem der alten Bücher geglitten war: Zwei weiße Rosen habe ich gefunden, ich hab' sie abgepflückt. Nur du allein bist meine Freude, ich hab' sonst nichts auf dieser Welt.

Es folgte der Satz: „In unauslöschbarer Erinnerung an jenen Frühlingstag auf dem Kahlenberg, seiner lieben Freundin, 1887.“

Ich hielt ein wenig inne bei meiner Durchsicht. Nachdenklich wandte ich Seite um Seite des Buches, aus dem mir so unerwartet diese Widmung zugekommen war. Mit einemmal war auch jene ironische Überlegenheit verflogen, und das Lächeln erlosch wieder, welches der erste Eindruck dieser Zeilen mir flüchtig über die Lippen huschen ließ. Denn auf was ich da inmitten dieser, na — Makulatur gestoßen war, schien beinahe eine Botschaft zu sein, ein sanfter Hinweis auf eine unabänderliche Tatsache: die ewige Offenbarung des menschlichen Gefühls.

Wenn meine Erinnerung nicht trog, so gehörte dieses Buch einmal einem weit entfernten Verwandten von mir. Seit seinem Tod waren allerdings bereits viele Jahre vergangen. Zufällig waren diese Bücher damals aus seinem Nachlaß zu uns gekommen. Niemand hatte an ihnen besonderen Gefallen finden können, niemand las je in ihnen, so wertlos schienen sie meinen Eltern bereits. Sie wurden verpackt, und hoch oben auf einem Regal am Dachboden des Hauses aufbewahrt, verschnürt mit dicken, geflochtenen Wollborten, die bis auf den heutigen Tag nicht gefallen sind.

Nun lag das Herzensgeheimnis einer Jugend auf meinem Tisch. Zwischen den Seiten des Buchs wanderten vielleicht einst diese gegenseitigen Bekenntnisse hin und her, verborgen wie im Portefeuille eines reisenden Diplomaten. Es war nicht zu leugnen: der Reiz dieser Vermutung schlug mich langsam in seinen zarten Bann. So begann ich Blatt um Blatt zu wenden, um an Hand dieser verblassenden Zeichen einer dahingewelkten Liebe nachzuspüren.

Da fand ich einen Vers über einen Spaziergang im Wienerwald, der, dem „theuren Sophiechen“ zueigen, niedergeschrieben wurde, ^unverbrüchlich in ewiger Treue, 1888.“ Zeilen an den „Schönsten Schatz auf Erden“, und dem Geständnis eines einsamen Wandergesellen auf seinem Weg in die Fremde, das Herz bis zum Rand voll mit dem schmerzlichen Gefühl der Verlassenheit. Dem „Verlassen“ als Antwort daruntergesetzt, war aber das Wort „niemals“ hinzugefügt — denn welche Liebe auf Erden will je die Einsamkeit auf sich nehmen.

Gerührt legte ich das Buch beiseite, um nach einem anderen zu greifen, um weiterzusuchen auf den Stationswegen dieses Glücks durch die Vergangenheit. Da hielt ich auch schon ein kleines, blaues Bändchen in der Hand, aus dem mir von den ersten Seiten zwei gepreßte Hyazinthen entgegenblickten. Gedankenvoll betrachtete ich die welken Blätter, zu denen sie sofort zerfielen, da ich sie berührte, denn sie sprachen von der Vergänglichkeit unseres Daseins, von zwei überdauerten Menschenleben, die dahingegangen waren wie ein Tag.

Ein samtgebundenes Poesiebüchlein war noch da, auf dessen erster Seite zur Einführung stand:

Die Liebe ist so schön,

sie schafft den Menschen Lust,

verborgen liegt sie tief im Herzen

darinnen in der Brust.

Man weiß nicht, wann sie kommt,

auf einmal ist sie da,

so geht es, und man weiß oft nicht,

wie es geschah. „Meiner kleinen Braut, 1889.“

Das Leben nahm den Wanderstab auf und schritt tüchtig voran. Die Jahre liefen mit wie eine Schar lustiger, ausgelassener Kinder. Ein Buch kam, in dem es bereits hieß: „Zum Weihnachtsfeste seiner lieben Frau.“

Da schien mir, als gingen zwei Menschen vorüber. Vom ersten Geständnis der Zuneigung an, von der Brautzeit bis zum Gleichschritt des Alltags, einen Widerschein inneren Glücks auf ihre Gesichter gespiegelt, als gegenseitiges Belohnen im täglichen Sichfinden. Das Leben schrieb hier selbst in Versen.

Das gelbe Licht der Leselampe fiel auf einen Stapel alter Bücher, und ganz plötzlich war das Zimmer voll von Heimweh nach den verlorenen Gefährten. Ein Gefühl, das brannte, wie die erste, ungestillte Träne der Sehnsucht.

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