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Das Bleibende am Film

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Über den Wert und die Zukunft des Films in der Geschichte des schöpferischen Menschen sind sich die Theoretiker noch nicht einig (die Geschäftemacher dagegen schon längst). Der Meinung der einen, der Film stelle eine gänzlich neue Art das Leben nah- zubilden dar und werde daher allmählich alle Künste aufsaugen, ja das Jahrtausende alte Zeitalter der „Kunst“ im bisherigen Sinne überhaupt ablösen, steht die feste Überzeugung geachteter Fachleute gegenüber: im nächsten Jahrhundert schon werde zumindest nach dem Spielfilm, der im Grunde doch nichts anderes als eine nüchterne Verviel-

fältiguiigsmsschine de inszenierten Theater sei (sie stützen 6ich dabei vornehmlich auf den tatsächlichen Leer- und Totlauf der Fabel) kein Hahn mehr krähen.

In zwei Belangen aber — und darüber streiten sich schon heute die Leut nicht mehr herum — hat der Film einen unverkennbaren, bleibenden Fortschritt gebracht: im Zeichenfilm und Dokumentarfilm. (Die dritte Kategorie, der Renė Fülöp-Miller im Zeitalter Chaplins, Lloyds und Keatons die Palme reichte, der Humor, liegt 6chon seit längerer Zeit so im argen, daß wir heute diese Ehrung zu widerrufen versucht sind.) Die beiden ersteren Hochfeste des Films repräsentiert in dieser Woche der deutsch-amerikanische Magier des Films, Walt Disney, mit seinem gezeichneten Farbmärdien „C in de re 11a' („Aschenbrödel“) und dem naturwissenschaftlichen Feuilleton „Im Tal der Biber“. Idealfall der schöpferischen Illusion (mit dem Schwerpunkt auf den 6chier unerschöpflich einfallsreichen, delikaten Tierepisoden) die eine, Idealfall der seriösen, aber fröhlichen Wissenschaft und Bildung das andere. Zwei Filme, derentwillen es auch dem abgebrühten Kritiker lohnt, vor ihnen 25 Jahre lang 6000 andere ertragen zu haben ...

Im guten, mittleren Parkettrang (Walt Disney stellt nobelstes Cerclefauteuil dar) machen zwei Spielfilme diesmal richtig auf- hordien: der Schweizer „Palace Hotel“, ein demokratisches Gegenstück zu dem unver- welklichen Garbo-Film „Menschen im Hotel", und „Mädel von heute“, eine feine Göttinger Avantgardestudie, mehr als die übliche Primanerliebe, Paraphrase zu Thomas Manns These von der Mensch- und Bürgerwerdung.

Trotz allem Spielehrgeiz ist den verkrampften Fabeln der beiden Gesellschaftsfilme „D i e Nącht geht zu Ende“ und „V e r- botene Leidenschaft nur ein luftigerer Rang zuzuweisen, ebenso den Abenteurern „Der letzte Freibeuter“, „Die Herrin von Atlantis“, „Wölfe in der Nacht“, „Die Schenke von Orleans“, „Auf Winnetous Spuren“, und „Die Perlenräuber von Pago-Pago .

In die vierte Galerie dagegen ist der historische Purzelbaum der deutschen (musikalisch sehr schön arrangierten) Operettenverfilmung der „Försterchristi zu verweisen. O Schreck! Nicht dem dazu viel geeigneteren Kaiser Joseph, sondern dem jungen — Franz Joseph fällt die 6üße Christi in die Arme, der sie freilich den vazierenden Resten der Kossuth-Revolutionäre in den ungarischen Wäldern, deren Wipfel Csardas rauschen, vorzieht. Und das geht denn doch zu weit. Ein wenig mehr Respekt vor der österreichischen Geschichte (Franz Joseph wird konstant als Franz angesprochen) dürfen wir von unseren lieben Nachbarn schon verlangen. Schließlich haben wir — trotz allem — in Wien meines Wissens noch niemals einen Film verbrochen, in dem die Windmüllerstochter des Großen Friedrich mit dem jungen Bismarck einen Polka nach Heram Niel tanzt!

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