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Das Lächerliche als Lebensprinzip
DER SCHERZ. Roman von Milan Ku n de r a. Aus dem Tschechischen von Erich Bertleff. Verlag Fritz Molden, Wien. 336 Seiten, S 136.—.
DER SCHERZ. Roman von Milan Ku n de r a. Aus dem Tschechischen von Erich Bertleff. Verlag Fritz Molden, Wien. 336 Seiten, S 136.—.
Der Brünner Milan Künder & (Jahrgang 1929), ursprünglich Musiker, kam über die Lyrik zur Prosa. Als Neunzehnjähriger wurde er bald nach der Februarrevolution 1948 wegen „parteischädigender Gesinnung“ aus der Partei ausgeschlossen. Kunderas Leitartikel in den „Lite- räni Listy“ waren ihrer scharfsinnigen Analysen und ihrer Kompro- mißlosigkeit wegen geschätzt. Beim Schriftstellerkongreß im Sommer
1967 hielt er das berühmtgewordene Eröffnungsreferat. Die nicht romantisierenden Gedichte in dem Lyrikband „Monologe“ wie der Geschichtenzyklus „Lächerliche Lieben“ legten verschiedene extreme Liebes- situationen bloß und übten Kritik an der heuchlerischen Gesellschaftsmoral. Vielleicht waren diese lyrischen, ironischen Geschichten nur perfekt pointierte Anekdoten über die weibliche Torheit. Aber schon das erste gewichtige, Prosawerk „Der Scherz“ erhob den Anspruch.des großen modernen Gesellschaftsromans. Kunderas präzise Prosa knüpfte darin bewußt an die Tradition des „richtigen Wortes“ von Flaubert an. Und seine Handhabung des Zeitbegriffes, die souveräne Anwendung des inneren Monologes erinnern an die Experimente von Joyce, Proust, Dos Passos, Faulkner und Arragon. Es geht Kundera in dem Roman nicht um die sensationelle Enthüllung geschichtlicher Tatsachen, um das sogenannte Zeitbild. „Die fünfziger Jahre zogen mich an“, bekannte er, „weil die Geschichte damals ungeahnte Experimente mit dem Menschen anstellte, weil sie ihn durch ihre umwiederholbaren Situationen in einem ganz neuen Licht zeigte und so meine Zweifel daran und meine Kenntnisse darüber bereicherte, was das ist: der Mensch und sein Schicksal.“
Kunderas Werk ist ein ausgesprochener Ideenroman. Er sieht im „Scherz“ ein Lebensprinzip. Nicht nur, weil er seinem Geburtsdatum, dem 1. April, förmlich eine mataphy- sische Bedeutung zuspricht, sondern weil er das Lächerliche in allen Schichten des-Lebens erkennt; weil die Zeit, die Geschichte unaufhörlich groteske Paradoxa schafft, Tugenden und Ideale in ihr Gegenteil verwandelt, die Liebe zur Menschheit in Grausamkeit gegenüber den Menschen, die Liebe zur Wahrheit in Heuchelei und Denunziation. Der Mensch muß den Mut auf bringen, sich selbst in den Proportionen der Lächerlichkeit zu sehen, aus jener Distanz, die erst der Erwachsene im Laufe der Jahre erringt und die erst den Weg zum Begreifen so vieler anderer Dinge freilegt. Darum karikiert Kundera das „lyrische Alter“. Die Jungen sind bei ihm eitle Dummköpfe, berauscht von ihrem einzigen Vermögen, der ihnen kostenlos verliehenen biologischen
Vitalität und Unverbrauchtheit, nur auf sich selbst konzentrierte Exhibitionisten und darum so leicht manipulierbar.
Es ist die „vergessene Wiese des Alltäglichen jenseits des geschichtlichen Lenkrades“, das „graue Paradies“ unter den „kleinen und ewigen Sorgen des Lebens“, die der Autor zum Schauplatz seines Romans gewählt hat. Und doch ist es auch ein eminent politischer Roman, aber von einer Art, wie sie ein kluger Satz von Peter Handke charakterisiert hat, als er den Zwiespalt des Schriftstellers zwischen Literaturmachen oder Sich- engagieren-Wollen behandelte: „Je bessere literarische Arbeit er leistet, das heißt, je mehr er sich auf die Wörter konzentriert, mit denen er umgeht, desto ironischer wird ihm unter der Hand die Botschaft werden müssen.“ Kunderas Stil neigt zur systematischen Ironisierung. Und er hält auch die Skepsis für nötig, welche „die Welt nicht in etwas Fragwürdiges, sondern in Fragen verwandelt“. Das sei der fruchtbarste Zustand“, den er kenne. Der Scherz ist ein großartiges Buch, neben Skvoreckys Die Feiglinge ein Gipfel der neuen tschechischen Literatur.
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