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Das silterne Service

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Putilin war sehr stolz auf seine Findigkeit. Er sprach oft mit Hingebung von den Abenteuern vergangener russischer Zeiten. Einmal hat er mir (laut den Aufzeichnungen in meinem Tagebuche) folgendes erzählt:

Der vorliegende Kriminalfall ist doch etwas ganz Banales —, ach, wirklich gute Sachen kommen ja heutzutage überhaupt nicht mehr vor! Und auch die wirklichen Verbrecher gibt es nicht mehr — es ist gar nichts Rühmliches.mehr daran, so einen heutigen zu fangen. Und dann auch die Diebe: wirkliche, famose Diebe sind gar nicht mehr vorhanden. Früher, sagen wir mal, spürtest du einem Diebe nach und zittertest für dein Leben: er war wohl bloß ein Dieb, aber er ließ einem nichts durch! Früher war der Dieb solide in jeder Beziehung, aber jetzt? — Er ist erbärmlich, er ist ekelhaft! Er wird bestraft, sitzt das Seine ab, wird dann in den Heimatsort abgeschoben — und kommt darauf gemütlich wieder zurück. Die nennen sich ja schon selber Spiridon-Kehrwiederum. Meine Agenten schnappen sie auf der Eisenbahn, nehmen sie am Kragen und führen sie mir vor: verhungert, durchfroren, zitternd am ganzen Körper —, man schaut ihn lieber gar nicht an. Du sagst ihm also: — Du bist ja doch ein Dieb, mein Lieher. — Was soll man machen, Iwan Dmitrijewitsch, die Sünde ist nicht zu verstecken, ich bin ein Dieb. — So muß man dich also per Schub fortexpedieren. — Haben Sie Mitleid, Iwan Dmitrijewitsch! — Nun sag mal, was bist du für ein Dieb? Ein Dieb muß nach was aussehen, stattlich sein, fein angezogen, — aber du? Na, sieh dich doch mal im Spiegel an —, was bist du für ein Dieb? Irgendein Waschlappen bloß, aber kein Dieb. — Was soll man tun, Iwan Dmitrijewitsch, Gott schickt mir kein Glück. Schieben Sie mich bloß nicht ab, tun Sie mir die Freude, lassen Sie mich dem Erwerb nachgehen ... Na, meinetwegen, eine Woche magst du spazieren und arbeiten —, aber dann (falls du nicht vorher schon geklappt wirst) lasse ich dich abschieben: du findest hier kein Feld für deine Tätigkeit ...

Was war das dagegen in den vierziger und fünfziger Jahren! Damals hatte den Apraxin-Markt unter sich der Revieraufseher Scher-stobitow — eine bekannte Persönlichkeit, ein ungewöhnlicher Kopf! Da saß er so in seinem wattierten Schlafrock, spielte Romanzen auf der Gitarre, und der Kanarienvogel im Käfig trillerte wie der Teufel. Ich war sein Gehilfe, und was wir zusammen schon Abenteuer gehabt haben, das macht einen noch in der Erinnerung fröhlich! — Einmal ruft er mich zu sich und sagt: „Iwan Dmitrijewitsch, wir beide werden Sibirien wohl schwerlich vermeiden können!“ — „Warum“, frage ich, „ausgerechnet Sibirien?“ — „Also darum“, sagt er, „weil beim französischen Botschafter, dem Herzog von Montebello, ein Silberservice verschwunden ist, und der Kaiser dem Oberpolizeimeister befohlen hat, daß es wiedergefunden wird. Und der Oberpolizeimeister hat dir und mir befohlen, das Service um jeden Preis zu beschaffen, und wenn nicht, sagte er, so werde ich euch beide per Postpaket an einen Ort versenden, wo das Quecksilber einfriert,“ — „Na, sage ich, vorläufig ist's noch warm, versuchen wir, vielleicht finden wir das Service.“

Alle Diebe haben wir vorgenommen: nein, keiner hat es geklaut! Die haben sogar unter sich selber eine ganze Untersuchung angestellt (viel besser als unsere!) und sagen: „Iwan Dmitrijewitsch, wir wissen ja doch, wie wichtig die Sache ist, aber wir wollen's meinetwegen auf das Heiligenbild beschwören — wir haben das Service nicht geklaut!“--Was war also zu tun? Wir haben geschwitzt mit Scherstobi-tow, geschwitzt, — und endlich so viel Geld zusammengekramt, bis wir beim Goldschmied ein neues Service bestellt haben, — genau nach den Bildern und Zeichnungen, die die Franzosen noch hatten. Sowie das Service fertig war, haben wir es gleich ins Feuerwehrkommando gebracht: damit die es dort mit ihren Mäulern bearbeiten — so daß es den Anschein kriegt, als ob es „gebraucht“ sei. Dann überreichten wir das Service den Franzosen und warteten auf Anerkennung.

Allein, plötzlich ruft mich Scherstobitow wieder zu sich: „Na“, sagt er, „Iwan Dmitrijewitsch, jetzt müssen wir beide schon todsicher nach Sibirien.“ — „Wieso“, frage ich, „weshalb?“ — „Deshalb, weil heute der Oberpolizeimeister mich gerufen hat, mit den Beinen gestampft hat, und ganz rot vor Zorn gewesen ist. ,Du und Putilin', sagte er, ,ihr seid beide Schwindler, aber mich werdet ihr nicht überschwindeln. Gestern auf dem Ball hat der Kaiser den Botschafter gefragt: ,Sind Sie mit meiner Polizei zufrieden?' — ,Ich bin, Kaiserliche Hoheit, sogar sehr zufrieden: diese Polizei ist die kostbarste auf der ganzen Welt: Heute morgen hat sie mir das gestohlene Service wiedergebracht, und gestern abend hat mir mein Kammerdiener gestanden, daß dieses selbe Service gar nicht gestohlen worden sei, sondern daß er es bei einem Ausländer versetzt hat, und gab mir sogar die Quittung darüber, so daß ich jetzt also auf einmal zwei Service habe.“ —“ Hierfür, Iwan Dmitrijewitsch, gibt es keinen anderen Ausdruck als: Sibirien! — Na, sage ich, warum gleich Sibirien, aber die Sache riecht immerhin nicht gut. — So hat er auf der Gitarre weitergespielt, wir haben beide dem Kanarienvogel zugehört ... und wußten endlich, was wir zu unternehmen hatten.

Wir erkundigten uns, was der Botschafter mache. Es stellt sich heraus, daß er mit dem Thronfolger auf die Jagd fährt. Wir — sofort hin zu einem Kaufmann auf dem Apraxin-Markt, wir kannten ihn, er lieferte alle Livreen für die Botschaft und war befreundet mit dem ganzen Lakaiengesindel. „Guten Tag, lieber Mann, wann ist dein Namenstag? — Nach einem halben Jahr. — Na, aber könntest du deinen Namenstag, sagen wir, morgen feiern, und die ganze Dienerschaft von der französischen Botschaft einladen, die Bewirtung geht auf unsere Kosten?“ Na, er war natürlich einverstanden, — das ist doch klar, wir waren doch unter uns! Und wir haben dann bei ihm solch einen Ball gegeben, daß selbst dem Himmel heiß geworden ist. Morgens mußte man alle in ihre Häuser schleppen: die Franzosen waren total unzurechnungsfähig, sie konnten nur noch dumpf brüllen. Dabei, Gott behüte, nichts von Schlafmitteln, — sie konnten es einfach nicht vertragen ...

Na, aber um 3 Uhr nachts war unterdessen „Jascha, der Dieb“ gekommen. Das war ein Mensch! Eine Seele! Ein goldenes Herz, dienstfertig, gutmütig, und was die Geschicklichkeit anbetraf, so werde ich seinesgleichen nimmer sehen! Er saß immer wieder im Gefängnis und genoß unser vollstes Vertrauen. Das war was anderes, als die heutigen Diebe. Die Erde sei ihm leicht! Er kam also und brachte einen Sack: — „Bitte“, sagte er, „belieben Sie nachzuzählen, es ist, glaube ich, alles.“ — Da fingen wir mit Scherstobitow an, nachzuzählen: zwei Löffelchen mit Wappen waren überzählig. „Wozu denn das, Jascha, fragen wir, wozu hast du denn das Ueberflüssige geklaut?“ — „Ich hab mich nicht halten können“, sagte er ...

Am nächsten Tag fährt Scherstobitow zum Oberpolizeimeister und sagt: „Gott bewahre, Exzellenz, es hat überhaupt nie zwei Service gegeben. Es gibt nur ein einziges Service, wie eh und je, und was die Franzosen anbetrifft, so ist das ja doch ein leichtsinniges Volk, denen kann man ja nicht Glauben schenken.“ Und am nächsten Tage war auch der Botschafter von der Jagd zurückgekommen. Und sieht: es gibt tatsächlich nur ein Service, aber seine Lakaien sind dabei ganz grün im Gesicht vom Kater und stehen total windschief in den Türen. Da hat er mit der Hand abgewinkt und über die Sache weiter kein Wort geredet.

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