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EIN LOCH IM SACK

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Das strenge Inkognito wahrend, hastete Pjetor Pawlo- wdtsch Possudin in einer gewöhnlichen Droschke zur Kreisstadt. „Die Schmutzfinken haben dreckige Geschichten eingeführt und glauben nun, sie hätten die Spur ausgezeichnet verwischt. Ei, ei! Nicht so bei mir! Gut kann ich mir ihre Verwirrung vorstellen, wenn es mitten ln ihrem Triumph ertönen wird: ,Herr Possudin kommt selber. “

Nachdem er sich sattgeträumt, begann Possudin eine Unterhaltung mit dem Kutscher. Als ein Mensch, der auf Popularität aus ist, fragt er ihn als erstes nach sich selbst:

„Kennst du eigentlich den Richter Possudin?“

„Den? Wie soll ich ihn nicht kennen?“ grinst der Kutscher. „Den kennt bei uns jeder.“

„Warum lachst du?“

„Wie denn nicht, gnädiger Herr? Dazu ist der Possudin eingesetzt, daß ihn ein jeder kennen muß!“

„Na und wie ist er?“ fragte der Fahrgast.

Der Kutscher gähnte. „Er kennt sich wohl in seiner Sache aus. Noch kein Jahr hier, und hat schon allerhand ausgerichtet!“

„Was hat er denn Besonderes getan?“

„Viel Gutes und — und auch etliches Falsche. Das Gute ist, daß er die Kochrjukow aus unserem Kreis entfernt. Dieser Herr konnte nie genug bekommen. Ein Schuft war er, ein durchtriebener Spitzbube. Ja, aber den Possudin kann man nicht kaufen, das gibt es nicht. Ob du ihm hundert oder tausend anbietest, dieser Sünde verfällt er nicht. Er ist aus dem Volk Guter Mensch, hat aber viele Fehler!“

Na, Gott sei Dank. Wenigstens von der Seite hat man mich verstanden, dachte Possudin strahlend.

„Ist trotzdem ein gebildeter Herr“, fuhr der Kutscher fort, „aber ein hitziger, ein Flinker, ist nicht imstande etwas ruhig zu sagen, immer nur — hopp, hopp! Kein Gedanke daran, daß er einmal im Schritt geht — er muß immer laufen. Trotzdem ist er viel besser als sein Vorgänger, das stimmt! Der war 50 ein Wichtiger, Gewichtiger, lauter als er vermochte keiner im Gouvernement zu streiten. Wenn er reiste, da hörte man ihn über zehn Werst; doch wenn es sich um die äußerlichen Umstände oder um die inneren Angelegenheiten handelt, da ist der jetzige viel gescheiter. In seinem Kopf ist eben hundertmal mehr Hirn. Der Mann ist in jeder Hinsicht recht, nur — eines ist schade: er ist ein Trunkenbold und ein Weiberjäger!“

Da haben wir die Bescherung! schoß es Possudin durch den Kopf.

„Woher weißt du das alles?“

„Euer Wohlgeboren, nicht, daß ich lügen wollte, bloß die Leute sagen es. Das Gerücht will es wissen, Bruderl In Gesellschaft trinkt er nicht, er ist eben schlau. Der bedudelt sich nur zu Hause. Wenn er aufwacht, ist sein erstes Wort Wodka — und immer wieder Wodka. Er säuft, und doch ist ihm nichts anzumerken. Wenn unser Kochrjukow zu saufen begann, dann mußten nicht nur die Menschen, sogar die Hunde heulen. Possudin aber — nein, nicht einmal seine Nase rötet sich. Er schließt sich in sein Zimmer und schnapst 1"

Der Fahrgast entsetzte sich: Mein Gott, sogar das ist bekannt)

„Außerdem hat dieser Possudin so eine Angewohnheit in aller Stille zu den Untersuchungen zu reisen. Der Frühere, wenn der reisen wollte, da war das schon einen Monat zuvor bekannt, und wenn er kam, dann gab es Lärm und Krach. Gott soll schützen einen jeden, den er aufs Korn nahm! Er konnte brüllen, toben, ja sogar ab und zu einem eine Backpfeife versetzen. Dann schlief er sich erst einmal aus, dann aß er sich satt und trank sich voll. Der jetzige, wenn er was hört, dann tut er nichts als insgeheim und flugs hinreisen, damit ihn niemand sieht und niemand weiß, wohin er fährt. Möchte alle auf frischer Tat ertappen. Er flitzt unbemerkt aus dem Hause und springt auf die Eisenbahn, fährt bis zu der Station, die er braucht und nimmt dort nicht etwa einen herrschaftlichen Wagen, sondern trachtet einen Bauernwagen zu erwischen. Und so reist der Narr und glaubt, daß keiner ihn erkennen könnte.“

„Und wie erkennt man ihn?“ fragte Possudin gereizt.

„Sehr einfach, Bruder. Wenn sein Vorgänger insgheim reiste, dann erkannten wir ihn an seiner Hand. Wenn einem ein Fahrgast eins in die Zähne versetzte, dann wußte man, das war Kochrjukow!“

„Geschlagen also!“ murrte Possudin.

„Possudin ist aber nicht so einfach. Wenn er auf einer Posthaltestelle ankommt, dann geht’s gleich los. Dem muß man junge Hühner und frisches Obst servieren. Auf allen Stationen ringsum weiß man: Wenn einer im Winter nach jungen Hühnern und frischem Obst verlangt, dann ist es Possudin.“ Donnerwetter! So ist es also. Daß ich nicht daran gedacht habe!, ärgerte sich der Richter.

„Wer es aber nötig hat, der kann ihn auch ohne junge Hühner und Obst erkennen. Denn es wird ja alles durch den Telegraphen bekannt. Wie immer er sich auch verstecken mag, man weiß überall, daß er kommt. Man wartet schon auf ihn. Noch hat Possudin kaum sein Haus verlassen, dort aber — bitte schön, ist alles schon bereit. Er kommt angereist, um die Leute zu überführen, um sie dem Gericht zu übergeben. Aber die lachen nur und sagen: .Hochwohlgeboren, bei uns ist alles in bester Ordnung!’ Er aber dreht und wendet sich und findet nichts muß die Leute noch loben und sie um Entschuldigung bitten, daß er Unruhe verursacht hat. Das Volk ist bei uns geschickt, ein Flinker sitzt dort auf dem ändern. Nimm zum Beispiel den Fall jetzt: Da fliegt mir unser jüdischer Kaufmann entgegen. .Wohin so eilig, Euere jüdische Wohlgeborenheit?1 frage ich. ,In die Stadt. Muß Wein, Lachs und frisches Obst besorgen. Dort erwartet man heute Possudin, ist schon unterwegs und denkt, daß ihn keiner kennt Mag er nur kommen, der Narr! Bei uns ist schon alles auf das beste versteckt!’“

„Halts Maul, du Rindvieh! Du Esel, du Antichrist!“ schrie der Fahrgast wütend. „Zurück, in die Stadt! Fahr zurück, sag’ ich dir l“

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