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Der Birnbaum

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(9. Fortsetzung und Schluß)

Die Wirtin nahm noch zwei andere Blütenteikhen aus der aufgerissenen Gitarre und hielt sie triumphierend auf der flachen Hand zur Besichtigung hin... Da überzeugte sich auch Herr von Tauff von dem abweichenden Naturspiel, das hier zum überführenden Beweise werden sollte, denn die Traubenwirtin sprach auch noch von dem Orte, wo dieser eigens gezeichnete Birnbaum stand:

„Hinten hinaus in das stillste Garteneek liegt die Speiskammer, und bei dem einzigen Fenster steht- der Birnbaum. Seine Äst hängen ganz tief... Wie der Lump dort an dein Fenster hantiert hat, ist wahrscheinlich ein bissei Wind gewesen, und die paar Blüten fallen gerad in die Gitarr ... Jessas! Jessas! daß ich das nidit früher bedenk, gestern war doch einer mit einer Gitarr bei mir draußen, aber natürlich..." Doch als ein Schreck überfiel sie gleich auch die Erinnerung an seine Begleitung ... „Ja, einer ohne Hut, mit einer Gitarr, aber es war der

Herr von Schubert bei ihm, ja, und sie haben bei mir Wein getrunken, der Herr von Schubert hat auch für den anderen gezahlt, und dann sind sie über die Hügel weitergegangen.“

Sie enträtselte sich dem Herrn Kommissär nun die seltsame Widmung der vertonten Goethe-Strophe, am Ende dieser merkwürdigen Geschichte aber stand immer noch ein groß Fragezeichen. Doch Herr von Tauff beschloß jetzt, durch eine regelrechte Verhandlung Licht in die Sache zu bringen; die Traubenwirtin, besänftigt von der Aussicht, daß man den Dieb nun bald überführt haben mußte, wurde in ein Nebenzimmer geschoben und der Instrumentenmacher entlassen; die Gitarre nahm er mit, um sie wieder zusammenzuleimen.

„Nagele, führ Er den Hendl vor“, befahl Herr von Tauff.

Und es erschien wieder der, dessen Gehe. mnis nicht bewahrt bleiben sollte und dem nun ein Verhör blühte, dessen Verlauf und Folge nicht vor auszusehen war, weshalb der böhmische Musikant viel von seiner früher so sicheren Landstreicherwürde einbüßte.

„Kaspar Hendl, Er ging gestern also über Land?“

„Jawohl, Herr Kommissär.“

„War da Windstille?“

„Nein; es hat ein Wind geblasen.“

„Ist Er durch Wald gekommen?“

„Nein; der Wald ist für den Sommer.“ „Wo hat Er sich dann mehr auf gehalten?“ „ln den Gärten und auf den Wiesen. Euer Gnaden.“

„Auch in Obstgärten?“

„Jawohl."

„Unter blühenden Bäumen?“

„Ja, auch unter blühenden Bäumen.“

„In Seinem Instrument sind nämlich drei Birnbaumblüten gefunden worden.“

„Vielleicht hat sie der Wind hineingeweht.“

Kaspar Hendl war sehr niedergeschlagen, denn nun war durch die Zerlegung der Gitarre ja offenbar geworden; was er gern verheimlicht hätte: die Bekanntschaft mit , Schubert. Kam die Bescherung dem zu Ohren, dann war wohl ohne Zweifel getilgt, was eine kleine Eitelkeit des landstreichenden Sängers in dem verehrten Meister so gerne h'nterlassen. hätte: eine trauliche, nie bereute Erinnerung. Der Herr Kommissär aber war im gleichen Maße verlegen und ratlos. Srar,J da ein eingebrachter Straßenbruder, eines frechen Delikatessendiebstahls so gut wie überwiesen, und besaß der Kerl die persönliche Widmung eines Wieners, dessen Name bei Hofe und in den adeligen Häusern einen Klang hatte wie wenige sonst; gar nicht zu reden von den vielen gönnerischen Bürgersfamilien, die ihn alle als eine Hausehre zu sich baten. Eine höchst peinliche, ja halsbrecherische Sache, aus der es nur den einen Weg gab, und mochte er auch auf den B'auen Bogen zuführen.

Mit einem tcdesverachtenden Eifer fragte der Kommissär weiter:

„Ging Er allein, oder war Er in Begleitung?"

„In Begleitung.“

„Mit wem?“

„Mit dem Herrn Kompositeur Franz Schubert.“

„So... Wo hat er gestern gegessen?" Kaspar Hendl wurde nach dieser Frage mißtrausch und sehr unruhig.

„In Sankt Veit hat mir ein Bauer Milch und Brot geschenkt.“

„So .. Und Fleisch hat Er keines gefressen?“

Da trat auf dieses Theater, mitten in die wunderschön angesponnene Verwicklung, wieder die Traubenwirtin mit einer Paraderolle. Als gäbe es außer ihm sonst niemand auf der Welt, beschäftigte sie sich jetzt nur mit dem Weintrinker von gestern, dem völlig verdatterten Kaspar Heridl; ihre Anklage hatte viele sättige Stellen, die sich für ein Protokoll nicht geeignet hätten, und ent- h eit auch eine erschöpfende Sammlung aller ehrwürdigen Titel. Der Herr Kommissär wagte nicht, sie zu unterbrechen, denn es war gefährlich, einen Wildbach anzustauen. Der Wachtmeister aber stand ergeben, stumm und gnädig daneben und duldete diese letzte Szene eines Lustspielchens mit sehr zurückhaltender Vorsicht. Was nämlich noch folgte, war nur mehr ein Geständnis und ein nachdenklicher Ausklang.

Kaspar Hendl, der auch nicht verschwieg, daß Schubert in Unkenntnis über ihre Herkunft die gestohlenen Dinge mitgeschmaust hate, was die Frau Amalia Weinzirl einigermaßen versöhnte, hatte die Gitarre an den Birnbaum gelehnt gehabt, und die Bosheit -eines Windleins hatte ein paar verräterische Blüten durch das Schalloch getrieben. Im übrigen aber, gefragt, warum er zum Dieb geworden war, entschuldigte er sich allein mit seinem Hunger. So blieb der Polizei der wahre und letzte Beweggrund vollkommen verborgen.

Wohl aber ahnte ihn Schubert, der. natürlich allein nur zut Wahrung der Form, vor den Herrn Kommissär von Tauff geladen, erfuhr, auf welche Weise er zu dem unver- geß idien Gastmahl gelangt war. Aber es b'icb. obwohl das alles nun in polizeilichen Akten vermerkt sein sollte, immer noch eine köstliche Tafelei, und die seltene Art solcher Huldigung, wie sie der vagabundierende Gitarrespieler ersonnen hatte, belustigte und rührte Schubert im selben Maße.

In jenen Tagen, da er, von seinen Freunden lange verlassen, diese Ergötzung zum Tröste immer wieder an sein Herz nehmen konnte, sooft es ihn allzusehr an seine Einsamkeit gemahnte, klang es in ihm von vielen Liedern; und beständig hatte er da in seinem Ohr die lustigen, sauberen Akkorde einer Gitarre. Das Widerspiel seines Lebens: jener böhmische Musikant Kaspar Flendl aber verscholl dann, als hätte er nie gelebt und wäre nur ein fröhlicher Traum gewesen.

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