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Der Birnoaum

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(5. Fortsetzung)

Und so großmächtig wie diese beiden letzten Worte war auch der Schwung seiner ersten Schritte, als gälte es, eine plötzliche Regung des Herzens zu verbergen.

Den Fleischkorb nahm er mit; er wollte ihn wieder abgeben, rief er, als er in einiger Entfernung noch einmal stehengeblieben war, zurück. Und er gedächte der Wirtin zu berichten, welches unvergeßliche kleine Fest sie mit ihrer Spende möglich gemacht hatte. Und vielleicht gelänge es ihm, meinte er, das noch brutwarme Liedchen als Belohnung der Wirtin drunten im Gasthaus zur Erstaufführung zu bringen. Freilich, einstweilen noch nicht konzertreif, denn es sei eine schwierige Musik.

„Da gehst du, wie immer meine guten Tage gehen, halb ausgekostet und nie gänzlich erfüllt”, dachte Schubert dem nach, der da unten von Obstgärten aufgenommen worden und zwischen Bäumen bald nicht mehr zu sehen war.

Punkt hinter einer beendeten lustigen Episode…

Schubert blieb dort droben auf dem Hügel und war so töricht, zu glauben, der jäh Aufgetauchte und wieder so unvermutet schnell Entlaufene sei ihm gesandt worden, um sich als ein leibhaftiges Sinnbild vor ihn hinzustellen und ihm zu sagen: Das bist du! Nun erkenne dich!… Seltsam, alles stimmte, wenn es auch an Kaspar Hendl in ein gröberes, aber eben darum leichter wägbares Maß gebracht worden war: in ihm stille Unrast, Freude am Genuß, äußere Glücklosigkeit und ein gewisses Unbekümmertsein; in Hendl die gleichen Gaben als Lust an der Landstreicherei, Aneignungsbegierde des Heimatlosen, Vogelfreiheit und Stiefkindschaft, Leichtsinn und Frechheit. Auf solche Weise setzte Schubert die Vergleiche noch fort und rang sich nicht los von diesem fruchtlosen Bemühen, statt hinzuhorchen in die ihn umbreitende Stille, deren Stimmen für so viele Tausende schwiegen, ihm aber als ein Gotteslaut klangen, da er zu den Auserwählten gezählt war.

Im sechsten Polizeibezirk, dessen Streifgebiet noch tief in das Weinland hineinreichte, rief der Kommissär Joseph von Tauff nach dem Wachtmeister Nepomuk Nagele, der sich einen fetten Morgentraum aus den Augen rieb und dabei sorgfältig eine karierte Mappe mit der anderen Hand umschloß, in welcher der Bericht lag, den er noch in der vergangenen Nacht verfaßt hatte, nachdem er von der vorgeschriebenen Streife zurückgekehrt war. Der Bericht gab sich diesmal mager, er handelte von Erhebungen über eine Rauferei, die sich in einem der sonst so stillen Gasthäuser im Weinlande zugetragen hatte, wo Müllerburschen mit Weinbauern aneinandergeraten waren; von der Erforschung der Seele eines Schusters, der öffentlich folgendes ausgesprochen haben sollte: Die Polizei könne ihm über seinen Buckel hinunterrutschen oder si könne auch kopfstehn, und überhaupt, sie sei ihm Pomade; wer es nur wissen möchte, der sollte es wissen: in der Schublad, da habe er zwei Bücher, die von der Zensur verboten worden seien, aber er pfeife auf solchen Erlaß und lese, was ihm beliebe, und nicht das, was ihm die Polizei vorschreibe.

Der Polizeikommissär Herr von Tauff gab zu dem Raufhandel und zu der Sache des rebellischen Schusters seine Bemerkungen und überhörte geflissentlich den Groll des Nepomuk Nagele, der das milde Recht beklagte, das solche imerhörte Beleidigung der Polizei nur mit Arrest bestrafte und nicht mit dem Galgen. Denn der Kommissär wußte, wenn er jetzt auch noch in das Feuerchen blies, dann wurde in wenigen Augenblicken daraus ein Brand der Entrüstung, der auch jede weitere Amtshandlung versengte. Herr von Tauff aber hatte gewichtige Ursache, den Bericht des Wachtmeisters zu beschleunigen; es lag da neben den Akten eine halbvollendete Ode und sollte noch gerundet und gefeilt werden, denn der Kommissär war eine sogenannte sdiöne Seele und bekannte sich zur Ansicht, daß kein Gesetz die angenehme Gestaltung der Amtsstunden verwehrte.

Aber vorderhand hatte der Wachtmeister noch seinen dritten Fall zu erledigen, und er tat es mit einer so seltenen Umständlichkeit, mit so geheimnisvollen Andeutungen, daß der Herr Kommissär beinahe an die Landstreicherei eines hohen Herrn zu glauben begann, der ohne Papiere angetroffen worden sein mußte.

„Also, Nagele”, forderte er, schon ein wenig ungeduldig, „geb Er mir einen ordentlichen zusammenhängenden Bericht.”

„… Herr Kommissär, das muß ein besonderer Lump sein. Hat natürlich keine Papiere, keinen Hut, kein Benehmen, aber dafür ein unverschämtes, freches Maul. Stell ich ihn und bedeut ihm, daß er es mit der hohen Polizei zu tun hat, lacht er mich ungeniert an und sagt, gar so hoch könnte die Polizei nie sein, wenn sie so kleine Wachtmeister herumlaufen lasse. Halt Er sein Maul, sag ich ihm darauf. Rennt nit davon, sagt er dawider. Auf das hin arretier ich ihn wegen Landstreicherei und Polizeibeleidigung. Fragt mich der elendige Kerl, ob er mir meinen Säbel tragen helfen sollt oder ob ich nit ein Mittel gegen Hühneraugen wüßt. Und so sekkiert mich der Lump den ganzen Weg. Will ich seinen Namen wissen, sagt er, ich sollt nit so neugierig sein. Und dann, ob mir ein Lied gefällig sei. Halt Er sein ungewaschenes Maul, schmeiß ich ihm noch einmal ins Gesicht. Ich sollt froh sein, wenn er eine Marschmusik macht… Das möcht ich sub- missest gemeldet haben, und wollen der Herr Kommissär dem Kerl nur recht sein Maul schlagen. Ja, und dann wär noch nachzutragen, der Kunde hat eine Gitarr. Es ist wohl möglich, daß er darin etwas versteckt, was die Polizei zu wissen hätt. Erinnern sich der Herr Kommissär nur an den Zigeuner, der die Papiere an den Geigenboden geleimt hat.”

Der im stillen sehr belustigte Herr von Tauff wollte natürlich den frechen Kumpanen kennenlernen, nicht allein wegen der Amtshandlung, die wohl vorgenommen werden mußte, sopdern aus einer amtswidrigen Neugier. Die Landstreicher waren nämlich sonst von anderer Art, armselige Walzbrüder, die es nicht wagten, ein Organ der öffentlichen Ordnung zu verspotten. Es lohnte sich auch selten, länger bei ihrem einfachen Fall zu verweilen, sie gestanden, bekamen ihre Strafe wegen Landstreicherei zudiktiert und wurden abgeführt. Diesen nichtsnutzigen Urheber der Giftigkeit des Wachtmeisters aber mußte man sich anscheinend genauer vornehmen.

„Führ Er mir das Subjekt vor!”

Wer da vor die hohe Polizei gebracht wurde, war niemand anderer als der böhmische Musikant Kaspar Hendl, der aber gar nicht unterwürfig auftrat und sich der Bedeutung dieses Augenblicks durchaus nicht bewußt zu sein schien; das ließ sich ohne große Menschenkenntnis’ von seinem vergnügten Gesicht ablesen.

„Benehm Er sich”, schnauzte ihn der Wachtmeister an, der wenigstens hier die Würde der Polizei retten wollte, die gestern nach der Verhaftung dieses Vagabunden bedenklich gelitten hatte.

„Ich red ja kein Wort”, verteidigte sich Hendl gelassen und zuckte dabei die Achseln.

„Er ist reif für den Tschumpus”, eiferte der andere. Aber der böhmische Kaspar hieb zurück: „Das wird der Herr Kommissär bestimmen, nit aber sein Staudenstreifer.” Nepomuk Nagele hatte früher in seiner geheimnisvollen Einleitung zu dieser Landstreichergeschichte das Wort von einer „Spitzbubenvisasch” gebraucht. Herr von Tauff überzeugte sich, daß es stimmte, aber seine geschulten, selten getäuschten Augen forschten hier vergeblich nach der Verstocktheit des Verschlußbedürftigen, vergeblich auch nach der auftrumpfenden Frechheit des Lumpen aus Passion, denn dieser Eingelieferte machte zwar keine demütige Figur und hatte’die Augen nicht niedergeschlagen, doch stand er stumm und erwartend da, offenbar bereit, jedes Donnerwetter widerspruchslos zu empfangen. So begann der Kommissär denn das Verhör in einem freundlichen Ton, der Vertrauen schaffen sollte:

„Wie heißt Er, kurz und bündig?” „Kaspar Hendl.”

„Gebürtig?”

„Aus Prag.”

„Wie alt?”

„Neununddreißig.”

„Profession?”

„Liedersänger.”

„Ist auch was Rechtes.”

„Gewiß, Herr Kommissär.”

„Was tut Er hier in Wien?”

„Ich bin auf Kunstreisen.”

„Er ist auf Vagabundage aufgegriffen worden.”

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