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Der Geist belebt, der Buchstabe aber tötet

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den den (sie!) 1 Nofember war aller Heiling war ich nicht bey im ud ich habe wohlen Nachmittag komen u bin auch nicht hinunder gangen” - so wird in den Aufzeichnungen der Toni Wagner eine der vielen Krisen, die ihre Beziehung zu Ferdinand Raimund durchmachen mußte, zur Schrift, „mein größtes vergnügen, war immer das Lessen, und ich nahm sehr vill Bücher zu Leihen”, das schreibt der sechzehnjährige Peter Rosegger in seiner „Lebens-Beschreibung”, und wenn einer so viel liest, so möchte man überheblich meinen, könnte die Orthographie besser aussehen. Und er bekennt: „Zum Stutie-ren bin ich zu alt.” Ein anderes Zeugnis: „Und den 4. wars anders mein lieber Herr brauchte keinen Schwarzen mehr denn bei der Nacht hat ihn der liebe Gott zusich gerufen. Euer mit Thrauernder vom meinen Liebenden Herrn als Bursche Mathias Roth” - so schreibt der Bursche Georg Trakls vom Tod seines Herrn in einem Krakauer Spital - drei Zeugnisse, in dieser Form überliefert, von einer Cafetierstochter, einem Wald-bauernbuben und einem Offiziersdiener - und die Hand des Korrektors möge verdorren, so sie sich an diesen Texten vergreift und einer orthographischen Norm unterwirft. Diese drei brauchten eine solche nicht, und was siezu sagen haben, wird auch in dieser Form, die unsrem Empfinden eine schwere Entstellung der Regel zu sein scheint, deutlich, und jeder Eingriff würde eine radikale Minderung der Authentizität bedeuten.

Wir indes benötigen die Orthographie, und es ist gut, daß es sie gibt; wir brauchen sie, um den Austausch der Zeichen, mit denen wir einander verständigen, so einheitlich (und daher auch so unauffällig und reibungslos) wie möglich zu gestalten. Daß es solche Regelungen gibt, ist gewiß ein großes Verdienst der Aufklärung; individueller Willkür wird Einhalt geboten, und über die Dialektgrenzen hinweg soll eine einheitliche Text-oberfläche entstehen. Das ist nicht nur ein pures Ornament, sondern auch eine höchst praktikable Angelegenheit, vergleichbar etwa der für eine Region einheitlichen Währung oder der Straßenverkehrsordnung, nicht mehr. Wer wie eine Wildsau fährt, dem wird mit gutem Grund der Führerschein weggenommen, und für die Belange der Schule ist eine vernünftige Observanz der Orthographie durchaus angebracht, aber aus dieser so etwas wie ein Kriterium der Intelügenz zu machen, ist ein fataler Fehler, dessen Opfer viele werden, weil die Auffassung weit verbreitet ist, daß sich Sprachkompetenz am ehesten in einer perfekten Beherrschung der Orthographie manifestiere: Der Umgang mit der Sprache ist für eine solche Gesinnung nicht mehr als ein Geschicklichkeitsparcours. Orthographie aber ist eine Übereinkunft und verrät so gut wie nichts von d,en Gesetzen, denen jede Sprache gehorcht, aber auch nichts von der Logik und dem Charme, die in jeder Sprache bestimmend sind.

Die Tatsache, daß Rechtschreibwettbewerbe in Frankreich und Amerika hohe Einschaltquoten im Fernsehen erzielen, ist deprimierend. Menschen, denen Sprache oder Literatur denkbar gleichgültig ist, werden, wenn es um Orthographie geht, unerhört nervös. Für die einen scheint jede Veränderung ein Angriff auf die heiligsten Güter der Nation, für die andren hinwiederum ist jeder Wunsch, die Methoden bewahren zu wollen, ein Indiz finsterster Reaktion.

Nicht von ungefähr erinnern die Auseinandersetzungen um die Orthographie an die Glaubenskämpfe von einst. Die Kleinschreibung wird mit einer Inbrunst befürwortet, die verdächtig der Inbrunst gleicht, mit der andere für die Großschreibung eintreten. Mich würde die Kleinschreibung nicht stören; ich beherrsche sie perfekt und meine, die Möglichkeit, daß es zu gefährlichen Verwechslungen kommen könnte, ist gering. Aus Bequemlichkeit und aus der Überzeugung, daß man durch die Großschreibung sehr gut in sprachlichen Kategorien denken lernen kann, bin ich für die Beibehaltung der Großschreibung, wehre mich aber gegen die Regeln, die etwa nicht bei jedem substantivierten Adjektiv die Großschreibung zulassen, so daß man „im allgemeinen” und nicht „im Allgemeinen” schreibt, was in Hinkunft ja anders werden soll. Ich wehre mich gegen die Spitzfindigkeiten, mit denen das Gehirn der Schüler belastet werden soll, vor allem aber gegen den Ungeist, der uns heimlich zu suggerieren

Der Kampf um die Orthographie kommt der uns angeborenen Herrschsucht entgegen scheint, daß wir mit der Orthographie und ihrer Beherrschung auch über die Sprache verfügen.

Der Kampf um die Orthographie vermag die Gemüter nur deswegen so zu bewegen, weil diese der uns angeborenen Herrschsucht entgegenkommt, da man durch die Rechtschreibregeln die schöne und vielgestaltige, die unbezwingbare und stets von neuem Leben erfüllte Sprache zu beherrschen meint. Nirgends trifft das Pauluswort vom Geist der belebt und vom Buchstaben der tötet, so wörtlich zu wie in der Orthographie-Debatte. Jede Reform scheint ein Tri-dentinisches Konzil zur Folge zu haben und den Bannstrahl wider die Ketzer zu schleudern.

Was ursprünglich seinen sehr prak -tischen Sinn hatte und zur Vereinheitlichung der schriftlichen Kommunikation beitrug, wird zum Moloch eines Zwanges zur Einheit, dem wir uns willfährig zu unterwerfen ha-

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