6625623-1956_06_12.jpg
Digital In Arbeit

Der kleine Plazidus

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Sohn des Glücks. Roman von Hermann Kesten. Verlag Kurt Desch, Wien. 295 Seiten.

Dieser Roman ist mehr als die Geschichte eines raffinierten, bildhübschen Jungen, eine6 Hochstaplers, Betrügers, Verführers — eines Menschen, den alle lieben und der ein „Sohn des Glücks“ ist: Gabriel Amoroso-d'Amoureux-Lover-Lieber; ist mehr als die Liebesgeschichten, Eheverwicklungen und Partnerver-tauschungen, die alle ein wenig zu deutlich geschildert und fast ein wenig zu häufig sind. Es ist wie ein Bild des heutigen Allgemeinmenschen. Gabriel behauptet von sich, er habe im Grunde nur das Talent zu einem Moralisten; habe nur eine Absicht, ein anständiger Mensch zu sein; und ein Ziel, ein ruhiges Leben zu führen. Möchten das nicht im tiefsten Herzen die meisten Menschen sein — nur, daß es ihnen nicht glückt?! Weil man zuviel verführt, zuviel betrügt, zuviel hochstapelt, außen zuviel Glück hat? Das drängt dann ab von der eigentlichen Absicht des Herzens, bis der „Moralist“ in uns zum Schweigen gebracht ist. Aber auch hinter dieses Schweigen führt Kesten noch: „Nur zwei Wege gibt es, um viel yom Leben zu haben: Fast nichts oder fast alles tun. Zu langsam oder zu schnell leben I“ Diese beiden Möglichkeiten liegen uns allen — nur: wenn wir zu langsam leben, langweilen wir uns, weil wir schon einmal zu schnell lebten, aber daran müde wurden und langsamer lebten. Jetzt wechseln wir zwischen diesen beiden Extremen. Die Vermittlung dieser beiden wäre der „Moralist“. Und der werden wir nicht, weil . . . Nun geht es^ wieder von vorn an: „zu langsam“, „zu schnell“, zu sehr „ein Sohn des Glücks“.

Gin Strauß von Irrtümern. Roman von Salvador de Madariaga. Aus dem Englischen übertragen von Hugo R a u m a n n. Europa-Verlag, Wien. 256 Seiten.

Eine köstliche Idee, eine seltsame Philosophie! Die Idee: Es geschieht ein Mord, der sehr undurchsichtig ist und aus Haupt- und Nebenumständen nicht erklärlich. Madariaga läßt die gleiche Geschichte elfmal erzählen — von Personen, die zur Umgebung gehören, und sogar vom Hund des Hauses. Jeder sieht das Ganze anders, jeder von seinem Standort, jeder ein bißchen erklärend und zugleich einer den andern verdunkelnd. Köstlich und interessant zu lesen. — Die Philosophie: „Gerechtigkeit? Und was ist Gerechtigkeit?“ — „Der Sieg der Wahrheit!“ — „Wahrheit . . . Wahrheit ... der Duft eines Straußes von Irrtümern . . .“ Gerechtigkeit als Sieg der Wahrheit — ist bestimmt richtig, gut, lauter Daß aber Wahrheit das Endergebnis und die Quintessenz von lauter (gewiß subjektiven) Irrtümern sein soll, ist doch etwas seltsam. Das Bekenntnis des Schuldigen wäre doch gewiß die Wahrheit. Wie aber, wenn jene, die nur Nebenfiguren sind und die es im Grunde nichts oder nicht viel angeht, schweigen würden? Nicht urteilen, wo wir nicht gefragt sind, bedroht weder die Wahrheit noch die Gerechtigkeit noch — die Liebe.

Das Brot der frühen Jahre. Erzählung von Heinrich Boll. Kiepenhauer und Witsch, Köln. 141 Seiten.

Wie traurig: jung zu sein in einer Zeit, in der man alles nach Broten berechnen muß, weil man Hunger hat. Das lähmt, macht müde, macht ungenau und kann bis zum Verbrechen führen. So weit geht es mit dem Jungen, der da seine Geschichte erzählt, nicht gerade, aber beinahe. Und dann kommt Hedwig, eine junge Lehrerin aus seinem Heimatort, die er gar nicht kannte; der er nur ein Zimmer in der Stadt besorgen sollte. Dies Mädchen verwandelte den überdrüssigen Trott des Jungen — nur weil sie da war und so war wie sie ist. „Nie vorher hatte ich gewußt, daß ich unsterblich war und wie sterblich ich war.“ Vieles an diesem „Brot der frühen Jahre“ haben wir alle erlebt, viele nach uns werden es noch erleben: das Durcheinander von außen und innen, von Uebermut und Verzweiflung, von Verzagtheit und Willen, große Spuren zu hinterlassen ...

Das Lebea des kleinen heiligen Plazidus. Von Mutter Genoveva G a 11 o i s OSB. Uebersetzt von P. Michael J u n g o OSB. Rex-Verlag, Luzern. 12 und 104 Seiten.

Aus der Vorgeschichte dieses Büchleins: eine Benediktinerin erbittet sich von einer zeichnerisch begabten Mitschwester zu ihrem Namenstag ein Bildchen ihres Namenspatrons St. Plazidus, des Lieblingsschülers des Heiligen Vaters Benedikt. Anstatt des einen erhält die Klosterfrau zum Namenstag 104 Bildchen. Flotte, kleine Zeichnungen — eine köstliche Laune, heftiger Humor, Karrikaturen. Rund um diese Bildchen stehen Texte, ebenso launisch wie geistreich, aus klösterlicher Erfahrung geschrieben und mit Ironie und Kritik hingeworfen — aber immer gütig und voll heimlichen Lächelns. Diese'französische Benediktinerin hat damit „aus-dem Kloster geplauscht“: jene, die keine Ahnung haben von klösterlichem Leben, werden mindestens Sympathien für ein Kloster bekommen; jene, die sich auskennen, werden mit diesem Büchlein am besten einmal Exerzitien machen für 104 Tage.

Die Uebersetzung der französischen „Randbemerkungen“ ist haarsträubend! Wenn schon Uebersetzung in die deutsche Sprache, dann nicht ins Schweizerische, sondern wirklich für alle Deutsch-sprechenden bzw. -lesenden. Und warum so glatt und glanzlos? So „fromm“? Vielleicht ohne die Bildchen und ohne den französischen Text herausgegeben, wäre die „Uebersetzung“ erträglich — aber dann fehlte die Hauptsache: das Bilderbuch. So aber, neben Bildern und französischem Texte, ist der deutsche Text unpassend, ärgerlich — falsch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung