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Der letzte Kavalier

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Aufiallend ist die Wandelbarkeit seines Wesens und Ausdrucks. Fast wäre man versucht, von verschiedenen Charakteren zu sprechen, die sich in ihm wechselweise durchzusetzen und bestimmend zu werden vermögen —, dies aber um so mehr, als in seinem Aeußeren das Dezente und Konservative dominiert und jene Linie betont ist, die heule vereinsamt und last antiquiert anmutet und zur Bezeichnung „Der letzte Kavalier“ gelührt haben mag.

Dem englisch wirkenden Herrn, hochgewachsen, mit der trainierten Gestalt, die den Sportsmann verrät, und dem schmalen, charakteristischen Antlitz, aus dem eine Her-kunlt aus Iranzösisch-spanischen Adelsgeschlechlern ebenso ablesbar ist, wie es unzweifelhaft den hochkultivierten geistigen Menschen bezeichnet, diesem englisch wirkenden Herrn mit dem in jeglichem Sinne westischen Erbe kann kein Aufmerksamer begegnen, ohne, selbst bei flüchtigster Bekanntschaft, die heute so selten gewordene Wirkung echter Persönlichkeit zu erfahren.

Auflallend ist der leichte, unermüdbare Schritt, das Lächeln des Grußes — Irgendwo in den Zwischenreichen von Spott, Herablassung, Geistesabwesenheit und Güte beheimatet —, sind die gleichzeitig gemessenen und ungezwungenen Bewegungen eines Mannes, der in keiner Umgebung seine Sicherheit zu verlieren vermag, und dessen Anpassungsfähigkeit so groß ist, daß die Unaulmerksamen ohne weiteres dazu übergehen, ihn, den nirgends Einzuordnenden, irgendwo bequem zu rangieren — sogar unter sich selberl Meister, wie in vielem, so auch in der schwer erlernbaren Kunst: Sich aul solche Weise über jemanden lustig zu machen, der sich dadurch auch noch geehrt fühlt!

In seinem schönen Haus etwa, unweit des Wollgangsees, inmitten eines dämmernden Parks, der sich unbegrenzt ins Gründunkle zu verlieren scheint, an dem von ihm selber aufs sorgsamste betreuten Kachelofen, in Nachmittagsdämmer und Zigarettenrauch gehüllt, klingt dem Aulhorchenden die Stimme des Dichters bedeutend ans Ohr, wenn er vielleicht eine Hymne des Pindar oder Zeilen eines großen Lyrikers vorliest, sorgsam die Rhythmen bedenkend.

Aber unter Menschen, in Gesellschalt und in der Oeffentlichkeit, bei den selten gesuchten Gelegenheiten, die zumeist sein Ruhm verursacht, wirkt er allem aulgeschlossen, er geht aul alles ein, und zwar in solchem Grade, daß der Oberflächliche meinen mag, es handle sich bei ihm überhaupt nur ums Alltägliche. Es bedarf des scharlen Blickes und leinen Ohres des Nachdenklich-Aulmerksamen, um hinter so viel Weitläufigkeit und Geschmeidigkeit, so viel ollenbarer Anteilnahme am Allgemeinen und Geringfügigen, das Einmalige und höchst Persönliche, ja sogar Abseitige dieses Dichters zu wittern, der zu seiner Zeit im Kontrast steht.

Die braven kleinen Leute, in deren Mitte er am Uler jenes Salzkammergutsees lebt, werden nie begreilen, daß sich unter ihnen einer der bedeutendsten Lyriker der deutschen Sprache bewegt. Daß er Kleist-Preisträger und Verfasser von vielleicht unvergänglichen Versen ist, wissen sie kaum, man sagt noch eher, er habe eine Menge großer Romane und viel gespielter Theaterstücke geschrieben. Man begegnet ihm mit Hochachtung und weiß großenteils nicht, warum man ihn eigentlich hochzuachten habe; und seinen lünlzigsten Geburtstag glaubten sie mit stillschweigendem Uebergehen am besten würdigen zu können. Alles in allem aber ist das wohl dennoch die Art, mit der sie sich bei ihm am ehesten beliebt zu machen vermögen.

Nicht erstaunlich ist dies in einer Zeit, zu der das Materielle allzu dominierend geworden ist, um wesentlich Raum Iür die eigentlich wichtigen und schönen Dinge des Lebens zu lassen, die ohne einem gewissen Aulwand von Bemühung nun einmal unerreichbar bleiben müssen! Darum auch ist er niemals ein „populärer“ Autor gewesen oder geworden. Daher, und weil den Empfindsamen mehr als den Alltäglichen das Zerstörte und Verzerrte der Zeit angreift, zieht er überwiegend das stille, betrachtsame und ein wenig versäumte Leben in der Landschalt der Voralpen mit dem unentwegt sich verändernden See dem hastigen, bedrängenden Stadtleben vor, das ihm, wenn er auch noch so sehr mitgehen will, schwer akzeptabel erscheint.

Er ist konventionell, was das Aeußerliche betrillt, und das Gegenteil, wenn et sich um Wesentliches handelt. Er beugt sich keinem Usurpator, aul welchem Gebiete immer, und seine Ueberzeugung hat er niemals ausgelietert. Er läßt sich nicht in seine Karten blicken, und auch der, den er auszeichnet und der ihm nahezustehen glaubt, wird sehr oll inne, daß er nichts Eigentliches von ihm weiß und ihn immer wieder falsch beurteilt, da er nicht zu beurteilen ist von denen, die nicht an ihn heranreichen.

So haben wir uns nun durch ihn einen wirklichen Dichter in unsere so ärmliche und schäbige Zeit, und zugleich einen Abglanz jener aussterbenden Menschenspezies, die man im einzelnen „Herr“ zu nennen noch immer schlecht umhin kann, herübergerettet. Einen Abglanz, sagen wir, weil uns nur noch so außerordentlich selten eine vereinzelte Persönlichkeit diesen Begrill deutlich zu machen vermag.

Er hat zwei Kriege mitgemacht und ist vom Fortschritt nicht überzeugt. Er liebt die Einsamkeit —, vielleicht nicht so sehr um ihrer selbst willen, als weil sie heutigen Tages das geringste von vielen Uebeln ist. Diejenigen, die die Auszeichnung seiner Freundschalt besitzen, wissen längst, daß jede Stunde mit ihm eines der seltenen Geschenke ist, das man, im Umgang mit Menschen, heute noch gewinnen kann.

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