6599075-1953_25_07.jpg
Digital In Arbeit

Der moderne Dichter

Werbung
Werbung
Werbung

Ich hatte schon viel von dem modernen Dichter gelesen; aber nach seinem letzten Band „Das Herz auf der Folter“ (in Leinen 3.95 fl.) würde es mir klar: diesem Manne müßte man helfen.

Doch zögerte ich noch. Jeder weiß, daß ich ein tapsiger Mann bin, der unter dem Deckmantel ekelhaften Scherzes seine vollkommene Geistesleere zu bemänteln versucht. Was sollte ich bei diesem Manne?

Würde er, der täglich seine entsetzlichen Seelenkämpfe in Reime bradite, nicht in Lachen ausbrechen, wenn mein stumpfsinniger Kopf in seiner Türöffnung erschien? Aber sein vorletzter Band „Der nackte Mann“ (handgesetzt in der Lutetiaschrift, auf altholländischem, wurmfreiem Papier in 150 Exemplaren gedruckt, wovon 75 jämmerlich genug als Manuskript verfertigt waren) nahm jedes Bedenken hinweg: Hier durfte man nicht länger zögern. Hier hatte man einzugreifen. Ich kaufte deshalb ein Päckchen Butter, ein Viertelpfund Stärkungsmittel, ein Stück Speck, eine Unterjacke, ein paar Eier und einen Blumenstrauß und begab mich unverzüglich nach dem Hause des modernen Dichters.

In dem kleinen Vordergarten saß seine Frau und stopfte einen Strumpf. Sie hatte runde, frische Backen und sah gesund aus. Dieses war also die gigantische Persönlichkeit, mit der der Dichter:

„Beisammen auf einem Pfuhl mutlos sah in die Kiefer des Todes.“ „Heinz!“ rief sie hinauf, „ein Schwarzhändler!“

Der Dichter steckte den Kopf durch eines der Oberfenster und besah mich kurz.

„Stell' es nur in die Waschküche“, sagte er, „wir rechnen oben ab.“

Du liebe Zeit, die bittere Nüchternheit, mit der dieser Mann den gewöhnlichen Erscheinungen des Lebens gerade ins Gesicht blickte. „Stell' es nur in die Waschküche“: welch eine Welt der Ironie! Und dann: „Wir rechnen oben wohl ab!“

Der Dichter saß auf dem Hinterbalkon seines Hauses und rauchte eine Pfeife, die Beine schräg in die “Höhe auf die Stäbe gestützt. Er hatte — wie wunderlich ist manchmal die Natur in ihren Aeußerungsformen

— ein Gesicht, so viereckig und rot wie ein Backstein, und dieser Teil des Körpers, den ich bei anderen Sterblichen ohne Zögern mit dem Wort Bauch bezeichnen möchte, legte Zeugnis von der Sorge des Eigentümers ab.

„Wieviel kostet das?“ fragte er munter.

Ich legte ihm aus, daß das Gebotene ein Weihrauchkorn sei, das ich zum Fuße seiner Weltanschauung legte. „Helfen kann ich Ihnen nicht“, schloß ich, „denn Menschenhände können Ihnen nicht mehr helfen. Sie stehen täglich dem fahlen Gesicht des Todes gegenüber, und wir können bei diesem kosmischen Kampf nur atemlos zusehen. Meine Eier, das Stückchen Speck und die Tüte mit Stärkungsmitteln (ich fühlte, während ich sprach, wie lächerlich dies alles war) müssen denn auch nur wie ein Symbol gesehen werden, wie eine Allegorie des Mitempfindens.“

Es war merkwürdig, welch eine Aenderung plötzlich in dem Manne vorging. Seine Backen fielen ein und wurden todesbleich. Sein Haar, als ich eintrat, noch von ausgezeichnetem Schnitt, stellte sich aufrecht wie ein Kranz um seinen Kopf, ja, es begann zu wachsen und ringelte sich über seinen Kragen.

„Haben Sie Ihre Symbole in die Waschküche gestellt?“ fragte er mit matter Stimme.

„Das habe ich“, flüsterte ich.

Er starrte einige Zeit gedrückt vor sich hin.

„Sie müssen“, fing er wieder an, eine Zigarrenkiste mit sublimer Verachtung durch das Fenster werfend (so daß sie in das Zimmer fiel), „meine Bände sehen als Tropfen geronnenen Schmerzes.“

„Ein herrlicher Vergleich“, murmelte ich.

„Ich ersuche Sie, mich nicht zu unterbrechen. Ebenso wie für ein Glas Schnaps Dutzende Garben Weizen nötig sind, so ist für eine meiner Verszeilen ein Jahr Leid nötig. Das ist der Preis, den diese augenscheinlich so unbedeutenden Bände mir im allgemeinen kosten.“

„Der Fisch wird teuer bezahlt“, murmelte ich, „und was kosten sie einzeln?“

„Zehn Gulden“, murmelte der Dichter, „hier. Signiertes Exemplar.“

Ich bezahlte, den Kopf abgewandt: bar.

„Einsame, gepeinigte Menschen, was können wir nur für euch tun?“

Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung