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Der Ring hat sich geschlossen

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Die „Wagner-Stadt“ Graz hat ihren lang entbehrten „Ring des Nibelungen“ wieder. Es ist ein edles, fast makelloses Geschmeide geworden: nach jahrelanger Arbeit, die behutsam und ohne Übereilung Glied an Glied gefügt hatte, steht nun die Tetralogie, in schöner Geschlossenheit nach einheitlichem Konzept realisiert, vor dem wagnerfreundlichen Publikum. Nach den ersten drei Teilen (über die in der „Furche“ bereits berichtet wurde) brachte nun die heurige Saison die „Götterdämmerung“, deren Wiedergabe zur künstlerischen Krönung wurde. Freilich — die Zeiten, denen an Wagner Todestag die Grazer in weihevoller Stimmung zu den Klängen der Trauermusik sich von ihren Sitzen erhoben, um nicht zuletzt auch bei solchem Anlaß ihre deutsch-völkische Gesinnung zu dokumentieren —, diese Zeiten sind vorüber. Die Jugend von 1961 ist empfindlich gegen solch rauschhafte Beziehungen zum Werke Wagners. Und die Interpreten nicht minder: sie gingen mit größerer Objektivität, mehr Sachlichkeit, mehr Distanz und klarerem Kopf an die Arbeit als ehedem. Wolfram Skalickis durch die Monolithen von Stonehenge inspirierte Felstürme bilden eine ideale Folie für das mythologische Geschehen, Günther Wich hat das Orchester zu einer Höchstleistung animiert (eine denkwürdige Tat des jungen Opernchefs), und der Regisseur Andre D i e h 1 hat sein sehr brauchbares Inszenierungskonzept konsequent beibehalten. Diehl ging, wie hier schon angedeutet wurde, einen Mittelweg zwischen Alt- und Neu-Bayreuth. Darum war nicht alles, was man auf der Bühne sah, auch immer gut und leicht genießbar. Der „halbe" Alberich, der bis zum Gürtel aus der Versenkung hervorsah, das Speergewedel reisiger Mannen und manch grimmes Getue der Darsteller beeinträchtigen die Gesamtwirkung. Großartig aber war Gertrude Grob- Pr an dl als Brünhilde: ihre mühelos geführte, herrliche Stimme hat eine Schönheit und Durchschlagskraft, wie sie nur wenige Interpretinnen dieser Partie heute besitzen. Nicht minder imponiert hat auch Otto von Rohr als drastischer Hagen mit seinem markigen, schweren Baß. Sehr gut hielt sich Robert Charlebois als Siegfried.

Die Kammerspiele brachten eine Aufführung von Kleists „Zer brochenem Krug“: eine Meisterleistung des Regisseurs Ludwig Andersen, der nicht nur einen blendend gespielten Komödienabend voll guter Laune zustande brachte, sondern eine wahrhaft durchsichtige Strukturanalyse der szenischen Form mit einer selten erlebten Klarheit und Übersichtlichkeit zu aller Entzücken präsentierte. Das Schönste und Beste daran aber war die Übersichtlichkeit und die Gliederung der einmaligen Poly- phonie des Kleistschen Textes.

Weit weniger geglückt war Wolf- Ferraris Inszenierung von Garcia Lorcas düsterer Ballade „B 1 u t h o c h z e i t“. Der heiße, glühende Atem Andalusiens war kaum zu spüren. Dafür wurde um so mehr deklamiert, und dies besonders in Szenen, die Realität ausströmen müßten. Lorcas Stück ist reinste, dunkelste Poesie — gewiß. Aber es ist kein Mysterienspiel. Die zweite Hälfte des Werkes kann ihre mythische Surrealistik nur dann entfalten, wenn der erste Teil auf dem Boden der Wirklichkeit steht, ln der Grazer Aufführung aber ertrank Lorcas glutvolle Tragödie in feierlichem Zelebrieren und ermüdendem Pathos. Die Gestalt der Mutter in der Verkörperung durch die Schauspielerin Ruth Birk bleibt in Erinnerung, weil hier hinter dem Pathos das leidvolle Antlitz des Men- , SRhen siebtet,wurde.

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