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DER TOD DES DOMINIKUS

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Im Mai 1221 verläßt er Rom: er entfernt sich nun für immer. Zweimal hat ihn das Fieber unerwartet niedergeworfen, ohne ihm noch sein letztes Geheimnis entreißen zu können: den demütigen Tod, den Gott in ihm vorbereitet und der bereits In aller Stille in seinem Herzen erglänzt wie' das getreue Lämpchen im Heiligtum, ehe der ewige Morgen naht. Nach einer letzten Begegnung mit seinem Freunde, dem Kardinal Ugolino, in Venedig, erreicht er das Kloster in Bologna mit einem letzten Flügelschlag seiner weiten, seiner unermüdlichen Schwingen. Sterbend kommt er an.

Unser Todeskampf trägt das Zeichen der Reue: er zeugt wieder die Vergangenheit, er bricht ihre Fesseln und kündet, das unaussprechliche Gericht vorausnehmend, unsere Schande vor aller Augen. Achl Wenn nur das Leichentuch wenigstens noch einen Augenblick den gedemütigfen, leeren Körper umhüllen möchte, an dem allein die letzte Oelung erglänzfl Das erhabene Leben des Heiligen dagegen wirft sich in den Todeskampf wie in einen Abgrund von Licht und Liebreiz.

Man breitet einen großen Sack auf die Erde, und er legf sich darauf nieder.

Dieses Mal isf er für immer hingestreckt.

Man ha) ihn auf einen Hügel gebracht, wo die Luft rein ist. Aber da soll sein Leib ruhen? .Gott möge es nicht gefallen, dafj ich anderswo begraben werde, als unter euren Fühenl Man trägt ihn auf einer Bahre zurück in das Kloster des heiligen Nikolaus. Man legt den von Schweif) Triefenden auf den Boden. Stephan von Spanien reibt ihn mit einem Leinenfetzen trocken. Ventura von Cremona hört seine Lebensbeichte ab. Der leise Hauch, den der Bruder an seiner Wange vorbeiziehen spürt, das ist die einst ganz große Stimme, die Rom erschütterte, es Ist auch dieselbe Stimme, die in der Zurückgezogenheit der Nacht so oft Gott mit herzzerreißendem Schrei anrief, brüllend Gebete ausstief) für die Ungläubigen, die Irrgläubigen, die Juden, und die in dem bewundernswerten Taumel einer allumfassenden großen Liebe so weit ging, daß sie die Gerechtigkeit selbst Gottvaters zu zwingen trachtete, indem sie für die Verdammten bat — ad in interno damna(os extendebat carifatem suam: .bis zu den in die Hölle Verstoßenen erstreckte er seine große Liebe.

Die Brüder sind versammelt, um, wenn es möglich ist, etwas von der immer schwächer werdenden Stimme aufzunehmen. Dominikus macht ein Zeichen mit der Hand, sie treten heran. An der demütigen Gebärde des Heiligen erkennen sie, dah er ein öffentliches, ihm schwer auf der Seele lastendes Geständnis ablegen will. Der dem Papste Innozenz im Traum erschienen isf, mit der Last der Laierankirche auf seinen Schulfern, der Berater der Päpste und der Fürsten, der Schiedsrichter so vieler Schicksale, der Beherrscher und Gesetzgeber so vieler Gewissen, wird er in diesem feierlichen, von Schaudern erfüllten Augenblick den überwirklichen, nahezu furchferweckenden Wesenskern seiner Lehrberufung enthüllen? Welcher Zweifel quält ihn?

Er hebt seine hellen Augen, seinen ungebrochenen Blick zu den Brüdern. „Ich klage mich an“, so sagt das Haupt aller Prediger, ,daf) ich mich immer lieber als mit alten Leuten mit jungen Frauen unterhalten habe.“

„Der Orden Meines Sohnes Dominikus ist ein köstlicher Garten, unermeßlich, Frohsinn gewährend und voll Duft“, sagte eines Tages, nach ihrem eigenen Bericht, der Herr zu der heiligen Katharina.

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