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Der Tod wird besichtigt

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Am Westwall

Wie in friedensseligen Vorkriegstagen sieht man wieder die großen Aussichtsomnibusse Voll Ausländer auf allen rheinischen Landstraßen. Fuhren sie damals Rhein und Mosel herauf zur Traubenlese und fröhlichen Winzerfesten, ins- Siebengebirge auf Drachenfels und Petersberg, zum großen Turnier von Aachen oder ins heilige Köln, so haben sie heute ein anderes Ziel: die Schlachtfelder!

Die Schlachtfelder? Wenn in Amerika, aber auch in England oder Holland die Reisebüros den Hürtgenwald bei Aachen oder die planierten Dörfer an der Westgrenze Deutschlands als die lohnendste deutsche Sehenswürdigkeit für ihre Herbstreisen anpreisen, so sind das für sie die Stätten der Entscheidung. Gleich wie man bei uns noch nach Generationen den Namen Stalingrad nennen wird, so ist heute der Hürtgenwald und seine Landschaft zum Begriff der amerikanischen Schullesebücher geworden.

Hier erkämpften Hie westlichen Allterten den Eingang in das Reich, mit dessen Vernichtung sie die Probleme unserer Generation gelöst glaubten.

Düren ist der Beginn 'der dramatischen Landschaft, die den Stellungskampf dieses Krieges erlitt. Sechs Monate, vom September bis zum blutigen Frühjahr 1945, hat auf dem dreißig Kilometer breiten Streifen von hier bis Aachen die Front gestanden. Wie ein

Wunder war der ob des feinen Bütten seiner Papierfabriken bekannte Ort dem Luftkrieg entgangen, bis ihn dann ein einziger Großangriff zerschlug. Zwölftausend Menschen sollen an jenem Vormittag unter den Trümmern der einst blühenden Mittelstadt begraben worden sein!

Langsam windet sich' der Wagen aus den Trümmern von Düren die kurvenreiche Eifelstraße in Richtung Monschau hinan. Immer weiter wird der Blick auf die im Dunst verschwimmende Rheinebene. Immer niedriger ducken sich die Höfe in die Landschaft. Immer näher rücken die Spuren des Kampfes. Panzerwracks und ausgebrannte Kraftwagen liegen noch in den Feldern, Trümmer der Jabos, der amerikanischen Jäger, die das Land hier schließlich Meter für Meter beherrschten.

Das ist die Straße, auf der zum letztenmal deutsche Soldaten nach vorne marschierten, als Rundstedts Divisionen zu Weihnachten 1944 das amerikanische Heerlager in der Schneeifel einkesselten. An die vierzigtausend Amerikaner sah die Bevölkerung in die Gefangenschaft wandern, bis sie dann doch' einige Wochen später als die Sieger kamen.

Ein Hügel am Straßenrand entpuppt sich plötzlich als schwerer Bunker. Verwachsen und erst im letzten Augenblick kenntlich, sperrten seine Geschütze die Straße. Im Wald liegen flankierend zwei kleinere Werke. Schon gesprengte Höckerlinien ziehen sich weit ins Gelände. Der Westwall! Einst war er. der Blutspender dieses armen Gebietes. Der Bau brachte Geld in die entlegensten Weiler. Sieben Jahre später bedeutete er den Tod. Hier fing sich die Invasion, der Stellungskrieg vernichtete allen jungen Wohlstand. Pioniere und Besatzungstruppen sprengten, was der Kampf um Panzersperren und Bunker übrigließ.

Fast nur auf die Selbsthilfe angewiesen, wachsen die Dörfer und Gehöfte nur langsam wieder aus den Trümmern. „Trotzdem wird das alles wieder werden“, sagt mein einheimischer Begleiter. „Aber sehen Sie sich dieses Elend an!“ Ein Berghang hat das trostlose Bild bisher verdeckt, jetzt tut sich plötzlich' eine Mondlandschaft vor unseren entsetzten Blicken auf. So weit das Auge reicht: verkohlte Baumstümpfe! Eine einzige stumme Anklage gegen die Greuel des Krieges, recken sie die ausgebrannten Leiber gen Himmel. „Das waren einmal die schönsten Hochwälder der Rheinprovinz, die kapitalsten Hirsche im Westen konnte man hier schießen! Jetzt sind 25.000 Hektar zuschan-den. Was nicht zerschossen wurde, hat die Besatzung abgeholzt. Zehn Millionen würde die Aufforstung kosten. Es ist gar nicht daran zu denken!“

M

„Ist das. . ?“ frage ich“. „Ja, hier beginnt der Hürtgenwald, das Verdun des zweiten Weltkrieges.“ Die zerbeulten Stahlhelme auf verfallenden Hügeln wollen nicht mehr vom Wege weichen. Immer wieder ragen die morschen Kreuze aus dem blühenden Knöterich inmitten der vom Tod geschlagenen Schneisen. Die Blüte zweier Völker sank hier dahin. Ganze Divisionen liegen unter der blutgetränkten Erde, vierzigtausend, Amerikaner und Deutsche. Achtzehnmal hat der Wald seinen Besitzer gewechselt, vierzehnmal der Ort Hürtgen, achtundzwanzigmal das Dorf Vossenack!

„Nicht vom Wege abweichen!“ mahnt ein Schild, denn noch immer sollen an die hunderttausend Minen im versengten Waldboden verborgen sein. Und nicht alle Kreuze stammen aus den letzten Kriegsmonaten. Zweihundertsechzig Tote sind allein im Kreis Düren als Opfer der Minen nach dem Krieg zu beklagen gewesen, nicht gerechnet zahllose Schwerverletzte. Deutsche Kriegsgefangene, von den Siegern als Räumkommandos eingesetzt, aber auch viele Zivilisten waren darunter. In Prüm hat sich dann der gebändigte Tod noch einmal befreit. Unter dem Sprengstoff, der das alte Eifelstädtchen kürzlich vernichtete, befand sich auch ein Teil der zweihundertdreißigtausend Minen, die man unter soviel Lebensgefahr im Hürtgenwald ausgegraben hatte.

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