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Der Triumph des Siegers

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Freitag, in der Butterwoche, begaben sich alle zu Alexej Iwanitsch Konsulin zum Pfannkuchenessen. Für sie ist Konsulin vielleicht ein Nichts, eine runde Null, für uns aber, die wir nicht hoch über den Wolken schweben, ist er eine große Persönlichkeit, allmächtig groß und weise.

Die Pfannkuchen waren von einer unbeschreiblichen Güte, leicht, zerschmolzen im Munde und waren dabei rösch. Man legt so einen Pfannkuchen auf seinen Teller, taucht ihn sorgfältig in geschmolzene Butter ein und verspeist ihn’. Der nächste kriecht einem, man weiß nicht wie, von selbst in den Mund! Zu den Pfannkuchen gehörten, als nicht wegzudenkende Beigaben, gewissermaßen naturnotwendige Kommentare: saure Sahne, frischer Kaviar, geriebener Käse. Außerdem gab es ein ganzes Meer verschiedener Schnäpse und Weine. Nach den Pfannkuchen kam eine Sterletsuppe auf den Tisch und nachher Feldhühner mit Sauce. Alexej Iwanitsch, als unser gemeinsamer Chef, der sich alles erlauben kann, öffnete schon bald seine Weste.

Nach dem Essen blieb man am Tisch sitzen und begann zu rauchen, nachdem unser Chef dazu seine Erlaubnis erteilt hatte. Seine Exzellenz Alexej Iwanitsch redete, und wir übrigen hörten zu. Mein Vater stieß mich alle Augenblicke an und flüsterte mir zu: „Lache!“ Ich riß regelmäßig meinen Mund weit auf und wieherte laut.

„So, so“, murmelte leise mein Vater, „so ist es recht. Er sieht nach dir hin und lacht das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht macht er dich zum Gehilfen des Sekretärs.“

„Ja“, sagte unter anderem Konsulirt, „jetzt essen wir Pfannkuchen mit frischem Kaviar und erfreuen uns am Lachs. Hadert nicht, meine Herren, trauert nicht über euer Schicksal, bis ihr nicht an euer Lebensende gelangt seid. In der Welt ist alles möglich, und es können verschiedene Veränderungen ein- treten Du beispielsweise bist zur Zeit ein Nichts, eine Null, ein Stäubchen, eine Korinthe, aber wer kann es wissen, vielleicht wirst du mit der Zeit Und so, vielleicht packt auch dich das Schicksal gewissermaßen am Schopf, alles ist möglich “

Alexej Iwanitsch verstummte, schüttelte sein Haupt und fuhr dann fort: „Wie war es denn mit mir früher! O mein Gott. Man möchte nicht mehr seinem Gedächtnis trauen: ohne Stiefel, in zerrissenen Hosen, stets in Furcht und Zittern .. . Manchesmal kam es vor, daß man sich für einen Rubel zwei Wochen abplagen mußte und dann ein zu sammengeknüllter Papierrubel einem ins Gesicht geschleudert wurde ..Friß! Dabei durfte dich ein jeder zerdrücken, dir einen Keulenschlag versetzen, dich lächerlich machen. Doch am meisten habe ich leiden müssen dank diesem geräucherten Stör, diesem Krokodil, diesem Kurizin.“

Dabei zeigte Alexej Iwanitsch auf ein verhutzeltes Männchen, das neben meinem Vater saß, müde mit den Augen blinzelte und mit augenscheinlichem Widerwillen eine Zigarre rauchte. Für gewöhnlich rauchte Kurizin nicht, doch wenn sein Chef ihm eine Zigarre anbot, hielt er es für unerzogen, eine solche nicht von ihm entgegenzunehmen. Als Kurizin den auf ihn gerichteten Finger seines gestrengen Chefs bemerkte, wurde er furchtbar verlegen und begann auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen.

„Ach, wieviel habe ich wegen dieser Stillen im Lande leiden müssen“, setzte Konsulin sein Gespräch fort. „Ich gelangte am Anfang meiner Laufbahn ausgerechnet zu ihm. Eines Tages geleitete man mich an seinen Tisch, zu diesem Nichts, dieser grauen Eminenz. Da begann er mich zu fressen. Jedes Wort ein Stich, jeder Blick eine abgeschossene Kugel, mitten in die Brust. Jetzt sieht er nach einem Wurm aus, aber früher, ein Neptun! Jupiter tonans! Ach wie lange hat er mich gequält. • Ich mußte seine schriftlichen Arbeiten erledigen, lief für ihn zum Bäcker, um Kuchen zu holen, spitzte seine Bleifedern an, begleitete seine Schwiegermutter ins Theater und versuchte, ihm wo und wie ich nur konnte, gefällig zu sein. Ich lernte sogar ihm zu Liebe

Tabak zu schnupfen, alles tat ich für ihn. Ich sorgte dafür, daß sich meine Tabaksdose stets bei mir befand, für den Fall, daß es ihm nach Tabak gelüsten sollte. Erinnerst du dich, Kurizin, an folgende Begebenheit?

Eines Tages kam zu ihm meine jetzt nicht mehr unter den Lebenden weilende Mutter und bat ihn um Erlaubnis, mich auf zwei Tage vom Dienst frei zu geben. Es geschah, um den Nachlaß einer verstorbenen Tante zu ordnen. Da fährt er meine Mutter an, reißt seine Augen auf und beginnt zu schreien: .Einen Faulenzer hast du zum Sohn, einen Nichtsnutz, Was siehst du mich, dumme Alte, an? Er wird sicherlich noch mal vor Gericht kommen!’ Da entfernte sich erschreckt meine alte Mutter. Bald darnach erkrankte sie vor Aufregung. Es fehlte nicht viel, und sie wäre gestorben.“

Alexej Iwanitsch wischte sich mit seinem Taschentuch die Augenwinkel aus und trank mit einem Zug ein Glas Wein bis zur Neige.

„Er wollte mich sogar mit seiner Tochter verheiraten, doch zum Glück erkrankte ich und mußte ein halbes Jahr ins Krankenhaus. Ja, so war es früher, und jetzt, jetzt bin ich über ihn gesetzt. Jetzt fährt er mit meiner Schwiegermutter ins Theater, reidit mir die Tabaksdose und raucht die Zigarre, die ich ihm anbiete, ha, ha, ha! Ich sorge für den nötigen Pfeffer zum Leben, nicht wahr, Kurizin?“

„Was befehlen Exzellenz?“ fragte Kurizin,

rieh ehrerbietig von einem Stuhl erhebend. „Stell eine Tragödie vor!“

„Zu Befehl!“

Kurizins gesicht nahm einen tragischen Ausdruck an, er erhob seine Hand, schnitt Grimassen und begann mit zitternder Stimme zu deklamieren: „Stirb, Ungetreue! Ich lechze nach deinem Blut!“

Wir alle fingen an, uns vor Lachen zu wälzen.

„Kurizin, iß jetzt dieses mit Pfeffer bestreute Brot!“

Obwohl Kurizin satt war, nahm er das mit Pfeffer bestreute große Stück Brot, steckte es in den Mund und fing an zu kauen. Wir alle lachten laut.

„Es gibt verschiedene unerwartete Ereignisse“, begann vpn neuem Konsulin. „Setz dich, Kurizin! Wenn sie vom Tisch aufstehen werden, wirst du uns was Vorsingen Damals du und jetzt ich “

Konsulin richtete sich auf, wobei er zu schwanken begann. „Ja, ihr Quälgeister Ihr Barbaren . .. Dafür bin ich jetzt ha, ha, ha, ha Und jetzt kommst du an die Reihe. Ich wende mich an dich“, sagte Konsulin und zeigte mit seinem Finger auf meinen Vater, „lauf um den Tisch herum und krähe wie ein Hahn!“

Mein Vater begann zu lächeln, errötete vor Vergnügen und begann seinen Lauf um den Tisch herum. Er lief immer in der Runde, und ich folgte seinem Beispiel. „Kukureku“, krähten wir und liefen immer schneller, wobei ich beim Laufen zu mir sagte: „Vielleicht werde ich als Belohnung für meine Anstrengungen Gehilfe des Sekretärs!“

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