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Die Bernhardisten stiften

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Höchste Zeit! Seit Leopold von Sacher-Ma-soch (1836-1895) hat kein österreichischer Schriftsteller einer psychischen Befindlichkeit seinen Namen leihen dürfen. Dabei haben unsere Autoren doch wirklich fleißig in den Tiefen der Seelen gebohrt. Nach Thomas Bernhard, der schmerzhaft bis auf den aus-triakischen Nerv vorgedrungen ist, wäre nun der Bernhardismus zu benennen.

Der Termin ist günstig, denn Kunstkanzler Klima schickt sich eben an, dem Geißler der Nation eine großzügige Stiftung zu weihen. Die Bernhardisten leiden freilich unter dem Todesfluch des Testaments, welches ausgerechnet den betroffenen Österreichern strikt verbietet, sich auf der Bühne die Zeugnisse ihrer Nichtswürdigkeit genüßlich zu Gemüte zu führen. Ganz klar, daß der Bespekt vor dem großen Dichter gebietet, solch ein unter dem Eindruck flüchtiger Unterschätzung hiesigen Aufnahmevermögens zustandegekommenes Verdikt ein wenig und so lange durch den kulturellen Paragraphenwolf zu drehen, bis zumindest in der Peym-ann-Nachfolge endlich Bernhard-Festspiele möglich sind. Dichter-Werke vor Dichter-Testamenten zu retten hat schließlich Tradition. Ohne Max Brods Mißachtung eines Letzten Willens wäre uns ja auch Franz Kafka verloren. Und bloß mit den Gesellschafts-Protesten des Nobel-Laureaten Dario Fo sind Vvir vielleicht doch zu dürftig bedient.

Nehmt also Bernhards Bühnensperre nicht so ernst wie seine Bundumbeschimpfungen! Die bern-hardistischen Stifter haben ja möglicherweise und so nebenbei auch einen ergänzenden Beitrag zur Bechtschreib-reform im Sinne. Es geht dabei um die Abschaffung des Punktes, welcher bekanntlich vielen Schreibern Schwierigkeiten bereitet. Der Punkt, der einen Satz beendet, ist die größte Scheinheiligkeit unserer Sprache, denn er täuscht ein Ende vor, das es nicht gibt und niemals geben kann und geben darf. Mit dem Punkt schotten wir uns gegen die Ewigkeit ab und wiegen uns in die falsche Sicherheit, die Aussagen seien endlich. Thomas Bernhard hingegen lehrt uns die sparsamste Ökonomie des Punktes. Der Fluß der Gedanken ist endlos wie die bernhardistischen Schachtelsätze, endlos wie die Suida des Ekels und Zorns und der redundanten Verachtung. Drei, vier, fünf Seiten ohne Punkt: das ist das literarische Sparpaket. Man bedenke, welche Ersparnis auch für den lauten Leser oder Rezitator! Niemals muß er durch Absenken der Stimme rhetorische Energie vergeuden. Die Worte werden zum Volkswagen: läuft und läuft und läuft. Gedankenstrich ja, Beistrich ja, aber ganz selten die Endgültigkeit des Punkts. Hat jemals einer den österreichischen Baunzer-Ton, dieses Nichtaufhören der Klage übers himmelschreiende Unrecht besser getroffen! Die Fachgelehrten schätzen diesen großen Worthorizont ungemein und nennen ihn konzentrierte Prosa. Die Rigidität der Boulevard-Journalisten, bei denen der ideale Satz maximal acht Worte umfassen darf, wird hier radikal bloßgestellt.

Nieder mit dem Punkt! Ist es denn nicht auch der Punkt, welcher unangenehmen politischen Forderungen diesen manifesten Nachdruck verleiht? Begehren und Anträge aller Art: erstens, zweitens, drittens ... Diese aufmüpfigen, abgehakten Gliederungen! Welch eine Wohltat für eine Regierung, den Punkt, wenn nicht ganz abgeschafft, so doch abgewöhnt zu wissen! Ist daher die Vermutung, den Punkt-Abschaffungs-Trend der Bernhardisten zu unterstützen, so ganz von der Hand zu weisen? Ein punktloser Drei-Seiten-Text als Forderung, das ist ja schon die halbe Nicht-Erledigung. Das schiebt die Revolte von der Straße auf die Ruhne, vom grünen Tisch ins Seminar. Die punktlose Prosa läßt alles offen. Politik als Kunst des Möglichen wird zum Möglichen der Kunst.

Vranitzkys sagenhafter Sager „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt!” gewinnt im Lichte des Rern-hardismus eine visionäre Dimension. Der Arzt wäre der Rechtschreibreformer, der die Vision einer punktlosen Schrift zumindest heimlich und allmählich dem Bewußtsein injiziert.

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