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Die Flucht in die Organisation

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DER MANN IM FISCH. Roman. Von Stefan Andres. 38% Seiten. Leinen. Preis 18.50 DM. — DAS GOLDENE GITTER. Novellen und Erzählungen. Bd. II. Von Stefan Andres. 351 Seiten. Leinen. Preis 9.80 DM. Beide: Plper-&-Co.-Verlag, München.

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DER MANN IM FISCH. Roman. Von Stefan Andres. 38% Seiten. Leinen. Preis 18.50 DM. — DAS GOLDENE GITTER. Novellen und Erzählungen. Bd. II. Von Stefan Andres. 351 Seiten. Leinen. Preis 9.80 DM. Beide: Plper-&-Co.-Verlag, München.

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Stefan Andres ist ein großartiger Erzähler, fern allen Diskussionen um modern oder nicht modern, um diese oder jene Theorie des Romans, erzählt er einfach aus seiner ursprünglichen Fabulierkunst heraus, kraftvoll und zart, humorig und satirisch, traditionell und modern in Wortwahl und Satzbau. Keineswegs jedoch reißt ihn seine Lust am Fabulieren ins Uferlose, als Könner weiß er zuchtvoll zu gestalten, unter dem Diktat des zu gestaltenden Schicksals seiner Geschöpfe. Trotz epischer Breite wird kein Wort verschwendet, wird kein Einfall um des Einfalles willen berichtet, aimplifi-ziert keine üppige Phantasie, sondern führt eine Zucht das Geistes die Feder, wird eben „gestaltet“, nicht bloß der Satz, auch der Gang der Geschichte. •

Beim Mann im Fisch handelt es sich um den alttestamentlichen Propheten Jonas, der, von Angst und Zweifeln geplagt, ob die Stimme in ihm wirklich die Stimme Gottes ist, seiner Sendung zu entkommen versucht, wie ihn aber Menschen und Geschicke immer wieder auf seinen Weg zwingen, sie mögen gut oder bös, hilfsbereit oder intrigant, klug oder dumm sein. Alles in ihm und um ihn sieht so natürlich aus, läßt sich so „physikalisch“ erklären, und doch entkommt er sich und seinem Gott nicht. Ungemein geschickt, raffiniert und spannend blendet Andres die Gegenwart ein: in der Nichtzeit des Aufenthaltes im Bauch des Fisches begegnet der Prophet dem Dr. Jonas aus dem 20. Jahrhundert. Mit seinem ähnlichen Skeptizismus, seinen Ängsten, den noch in reicherem Maß sich anbietenden natürlichen wissenschaftlichen Erklärungen befindet auch er sich auf der Flucht vor Gott. Absolut nicht Atheist, vielmehr gefeierter Organisator karitativer Aktionen. Andres zeigt hier eine eigenartig moderne Flucht vor Gott auf: die Flucht in die Organisation. Es werden wohl Berge versetzt, sagt er, doch nicht mit dem Glauben, sondern mit Organisation: in Liturgie,in katholischer Aktion und Caritas. Ein imposanter Bau des Glaubens, doch ein Termitenbau, von innen zerfressen, mit hautdünner Oberfläche. Dieser glänzende Bau der Organisation ist das raffinierteste Versteck, vor lauter Aktivität kommt man nicht mehr vor sein Selbst, wo man doch allein Gott begegnen kann, nicht einmal mehr der nun auch schon organisierte liturgische Gottesdienst bietet diese Begegnung. Beide, der Prophet und der Doktor, sind unterwegs auf ihrer Flucht, zweifeln, hadern, steigen, fallen, zu welchem Ende? Andres bietet kein Happy-End. Am Schluß des Buches wartet Dr. Jonas auf die Rückkehr des Propheten, der ihm Bestätigung bringen will. Doch sie bleibt“, der persönlichen Entscheidung des Lesers überlassen.'

• Der Novetlenband, der als Fortsetzung des 1962 im „Buch der Neunzehn“ erschienenen ersten Bandes gedacht ist, enthält verschiedene, in anderweitigen Publikationen verstreute und auch ganz neue Erzählungen. Andres ist am Menschen engagiert. Camus hätte seine Freude an ihm. Elm goldenes Gitter überspannt das Leben, dazwischen aber auch die Leere, der Abgrund. Die Landschaft, von der Heimat Trier bis zur Wahlheimat Positano, die Geschichte, Antike und Gegenwart, die Liebe in früher und später Begegnung, sie alle bieten das Gold und das Dunkel dazwischen an, Beglückung und Absturz. Kleine Details aus dem Alltag, aus der großen Gesellschaft, immer aus dem menschlichen Leben, zeigen diese fragwürdige conditio humana, absolut nicht in Ideologien und Philoso-phemen, sondern im menschlichsten Kern, der selbst wieder, sonst wäre er eben nicht mehr menschlich, noch weniger dichterisch, den Menschen im Leser anruft und nicht mit fertigen Rezepten erschlägt. So wird die Dichtung selbst zum goldenen Gitter. Andres hat wohl seine bekannte Weltanschauung, doch bleibt er weit und bleibt damit Dichter und wird nie Schulmeister.

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