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Die ital ienische Hochzeitsreise

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Man könnte, ohne der Tatsächlichkeit Gewalt anzutun, nur an Hand der Wandlungen im Typus des Italienreisenden eine Kulturgeschichte der Menschheit schreiben; doch ist dies nicht mein Vorsatz. Ueberhaupt sehe ich von Individuaireisen ab und habe hier lediglich die Gemeinschaftsreise im Auge. Blickt man aufs Wesentliche, so zerfällt diese geschichtlich in fünf Phasen: zuerst übersteigen kriegerische Völkerschaften die Alpen, dann ziehen die Kaiser nach Italien; hierauf kommen die Pilgerfahrten, denen die Scharen der Dichter und Künstler folgen. Die fünfte und letzte Form der Gemeinschaftsreise wird von den Hochzeitspaaren gestellt, sie ist die klassische Gemeinschaftsreise, denn die gemein-schaftsstörende Umgebung ist zu Hause gelassen worden.

In der Situation des Reisenden liegt immer eine gewisse Komik; sie kann nur dadurch überwunden werden, daß der Reisende sich ihrer mit behaglich genießender Selbstironie bewußt wird. Nun wohnt aber Frischvermählten bereits an sich eine Komik inne, und diese beiden Komiken begegnen sich, einander multiplizierend, in der Erscheinung des hochzeitsreisenden Paares. Es fehlt nur noch ein wirkungsvoller Hintergrund. Als solcher bietet sich freundlich die Piazza di San Marco an.

Um Mißverständnisse auszuschließen, will ich hier gleich feststellen, daß eine soziologische Verpflichtung zur venezianischen Hochzeitsreise nur in der Zeit vor dem ersten Weltkriege bestand; doch werden aufgehobene Verpflichtungen als Bräuche oft um so lustvoller geübt. Sie sind nicht vom benützten Vehikel abhängig. Schwinds Kutsche, die Direttissimi, der Achtzylinderwagen, das Flugzeug und selbst der Lloyddampfer — alle diese Verkehrsmittel liefern ihre Insassen zu-guterletzt doch dem Gondoliere ab und aus.

Zu den Requisiten der Hochzeitsreise gehören die folgenden Tatbestände. Vergebliche Anstrengungen, die Spaghetti unter Verpö-nung des zerschneidenden Messers auf italienische Art vom Teller in den Mund zu verpflanzen, erzeugen eine ausgelassene Heiterkeit. Es kommt auch vor, daß einer der beiden Partner — meist wird es der Mann sein — durchblicken läßt, er verstehe sich darauf, Spaghetti in unzerschnittenem Zustand unter Zuhilfenahme des Löffels kunstvoll um die Gabel zu wickeln; doch tritt er den Beweis nicht an, sondern behauptet, aus Soaehetti mache er sich nichts. Der Unglückliche, der ja noch keine Erfahrung hat, erkennt nicht, daß er unter Umständen bis an die goldene Hochzeit zu dieser voreiligen Behauptung wird stehen müssen. Aber in den ersten Ehetagen versucht man ja noch, Eindruck aufeinander zu machen.

Hierher gehört es auch, daß der Mann der Frau Italien „zeigen“ und die Auswahl des zu Bewundernden sowie die Bestimmung des jeweiligen Enthusiasmusgrades als Ausübung eines Rechtes für sich in Anspruch nehmen will. Zu diesem Zweck möchte er in der Frau solange wie. möglich die Vorstellung aufrechterhalten, er könne italienisch. Das wird ihm dadurch erleichtert, daß die Kellner deutsch sprechen, was den höflichen Gatten zwingt, sich aus Rücksicht auf die Frau ebenfalls der Muttersprache zu bedienen.

Ich erinnere mich hier einer merkwürdigen Geschichte, die mir einmal erzählt wurde und die, wenn überhaupt, wohl vor einer ziemlichen Reihe von Jahren vorgefallen ist, denn sonst müßte man ihren Spuren im Gedächtnis der Heutigen und insbesondere der Italienliebenden häufiger begegnen. Ein junger deutscher Kunsthistoriker, der seine glücklichsten Jahre in Italien verbracht hatte, war in die Heimat zurückgekehrt, heiratete und trat die Hochzeitsreise nach Italien an. Er brannte darauf, der geliebten Frau alle Herrlichkeiten des geliebten Landes zu öffnen. Allein schon bald nach Ueberschreiten der Grenze fielen die ersten Beschattungen auf sein Glück. Die junge Frau stellte unablässig Vergleiche mit dem Heimischen und Gewohnten an, rügte es, daß die Weiber die Wäsche im Gardasee ohne Zuhilfenahme von Waschpulvern wuschen, und schalt auf die damals noch florierenden Zugsverspätungen, die dem Manne als holde, wenn auch unbegreifliche Launen der Reisegöttin galten. Voi allem aber beklagte sie sich über die italienische Küche, und es war noch das geringste, daß sie, wenn es sie nach einem anderer Nachtisch als Obst und Käse gelüstete, sieb immer wieder auf zuppa inglese und zabaiont angewiesen fand.

Es gab Szenen, und jede überbot die vorangegangene. Im Hotel zu Venedig griff sie gehässig die italienischen Gepflogenheiten an mit Oel statt mit Butter zu kochen. Den Manne war das Oel heilig, als der Saft des ge liebten, grausilbern schimmernden Oel baumes, Symbol des Südens und der antikei Welt. Er erkannte, daß er falsch gewählt um sein Lebensglück leichtfertig zerstört hatte Außer sich vor Verzweiflung und Erbitterun; warf er die Frau aus dem Hotelfenster in

Wasser, und weil sie kein Oel hatte schlucken wollen, mußte sie Wasser schlucken, das bittere Wasser des Todes.

Allen fünf Kategorien von Italienreisenden ist eines gemeinsam: der erhöhte, der auf das Untägliche gerichtete Gemütszustand, in welchem sie ihre Fahrt unternehmen. Allein, das ist auch das einzige, was die Hochzeitsreisenden mit allen kriegerischen Völkerschaften, den Kaisern, Pilgern, Dichtern und Künstlern verbindet. Wichtiger ist der zwischen ihnen und jenen anderen Gruppen waltende Unterschied. Die Hochzeitsreisenden sind nämlich, so paradox das klingt, die einzigen, deren Italienfahrt unfruchtbar blieb. Das macht, sie brachten ihr Erlebnis ja schon fertig mit, statt es in Italien zu empfangen. Alle anderen begegneten hier ihren Erschütterungen, ja, ihrem Schicksal. Gerade das aber taten die Hochzeitsreisenden nicht, denn die Fälle wie der jenes Kunsthistorikers gehören gottlob zu den Seltenheiten.

Die Hochzeitsreisenden brauchten nur Umwelt und Hintergrund, manchmal sogar nur Kulisse für sich selber. Sie gingen betretene, von tausend Vorgängerpärchen als verbindlich festgesetzte Pfade. Sie mußten Tauben füttern, sich in die Blaue Grotte rudern und sich „Sul mare luccica“ vorsingen lassen. Sie mußten mit schelmischem Lachen Kupferstücke in die Fontana di Trevi werfen, Museen besuchen und mit bestimmten alten Fischern, deren Barte freilich jeder Aufmerksamkeit wert waren, Photographien werden; vor allem aber mußten sie Ansichtskarten schreiben. Dies alles war den vier erstgenannten Kategorien nicht auferlegt, und so hatten sie Kraft und Muße für allerhand andere Dinge.

Indessen haben die reisenden Hochzeitspärchen etwas ganz anderes für sich anzuführen: sie verkörpern potentiell nun wieder Generationen von Volkskörperschaften, Kaisern, Pilgern, Künstlern, Dichtern und abermaligen Hochzeitspärchen. Dieser Gedanke hat etwas Schwindelerregendes, aber es verhält sich nun einmal so, und man nennt das die Unabreiß-barkeit des Lebens.

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