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Die Kleine Frau

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Von der Existenz des „Kleinen Mannes“ weiß jeder. Sein besonderes Kennzeichen ist sein haufenweises Vorkommen. Viel ist schon über ihn geschrieben worden. Man hat in dem Kurvenbild der Gehaltszahlen die Horizontale gefunden, die gerade auf jenem Einkommen verläuft, das man als bescheiden und dessen Bezieher als „Kleinen Mann“ bezeichnet. Aber der „Kleine Mann“ ist kein Mißerfolg der Natur; denn Männer sind immer selbstzufrieden, auch wenn ihnen das Leben nur die bescheidensten Aufgaben anvertraut hat. In der Frau besitzt er überdies die wunderbare Handhabe, an den Uebermenschen zu glauben. Denn kein Mann ist zu „klein“, um nicht zu wissen, daß die Frau, wenn man sie mit männlichem Maßstab mißt, bejammernswert zweitklassig ist. Er weiß, daß selbst auf Gebieten, die spezifisch weiblich sind, die Frauen hinter den Männern stehen. Die besten Schneider, Friseure, Innenarchitekten und Köche sind Männer.

Auf die Bezeichnung „Kleine Frau“ für all diese armen Wesen aber ist er bis heute nicht gekommen. Dennoch wird niemand an der Existenz der „Kleinen Frau“ zweifeln dürfen. Sie kommt in noch größeren Mengen vor als der „Kleine Mann“. Sie sitzt hinter Schreibmaschinen, Kassenschaltern und weiß Gott noch wo. Und ist sie einmal verheiratet und durch das Einkommen ihres Mannes der Frage eines eigenen Erwerbs enthoben, dann wird sie erst recht zur „Kleinen Frau“.

In den Urzeiten der Geschichte mag es anders ausgesehen haben. Obschon sicherlich Verschiedenheiten der Gesichtspunkte und Temperamente bestanden, gab der eine dem anderen an Muskelkraft und Verstandeskräften wenig nach. Wahrscheinlich war sogar die Frau die geschmeidigere, die zähere und, wie alle weiblichen Tiere, die gefährlichere, wenn sie gereizt wurde. Wie immer der Mann beschaffen war, ob listig, wild und voll Ausdauer, die Frau muß die gleichen Eigenschaften gehabt haben. Männer und Frauen fochten miteinander und gingen miteinander auf die Jagd, und, falls sie sich zankten, war es Glückssache, wessen Schädel heil blieb.

Dann aber geschah etwas sehr Verhängnisvolles. Der Mann schritt weiter und die Frau setzte sich hin und wartete darauf, daß er hin und wieder zurückkam und ihr mehr oder weniger genau erzählte, was er inzwischen angestellt hatte. Vielleicht hatte sie zuviel von der fettea Bärenkeule gegessen oder erwartete sie ein Kind. Was auch immer der Grund war, sie legte jedenfalls ihre Axt beiseite, zündete sich ein hübsches Feuer an und wärmte sich.

Die Sache sprach sich bald herum. Und über kurz oder lang war es Lebensaufgabe der Frau geworden, über die häusliche Feuerstelle zu wachen, seine Hausschuhe bei der glimmenden Asche und das Gulasch leise kochend bereitzuhalten. Sie wurde die „Kleine Frau“, wobei die Frage offen bleibt, ob es damals schon den „Kleinen Mann“ gegeben hat.

So blieb es. Der Mann aber machte immer mehr von sich reden. Die Idee, daß auch die Frau einmal einschreiten könnte, flackerte schwach von Zeit zu Zeit in ihr auf; aber erst im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts brach aus dem glühenden Funken eine kleine, heiße Flamme. Man gab ihr den Namen Emanzipation. Für kurze Zeit kam der Stein ins Rollen. Die „Kleine Frau“ durfte wählen und Doktorate machen. Sie durfte neben ihrer Ehe einem Beruf nachgehen und Steuern zahlen, wenn sie den unwiderstehlichen Zwang dazu verspürte. Für kurze Zeit unterbrach der Mann seine Geschichte, um sich gehörig ins Fäustchen zu lachen. Dann schritt er ohne Prestigeverlust wieder weiter. Einer Erfindung folgte die nächste, wie die Nacht dem Tag. Er erfand die neue Suppe, die bessere Tortenfüllung, den rückenschonenden Waschkübel. Einer neuen Heilmethode für schreckliche Wunden folgte sofort eine neue Methode, schlimmere zu schlagen. Kaum daß der Mann Mittel und Wege gefunden hatte, die armselige Spanne seines Lebens zu verlängern, bereitete er durch Kriege seinem Leben im besten Jugendalter ein jähes Ende. Er baute Häuser, die mit aller Art arbeitssparender Tricks versehen waren, und bombte sie dann prompt in Grund und Boden, und trieb sich selbst in die Wildnis, um ganz unnötigerweise mit allem Mangel an Komfort zugrunde zu gehen.

Die Frau hätte bestimmt kein größeres Tohuwabohu anrichten können. Man kann sich sogar mühelos vorstellen, daß sie es besser gemacht hätte. Sie würde sich zumindest nicht einreden, einen ungeheuren Erfolg errungen zu haben ...

Ich habe mit meiner Frau schon ein Abkommen getroffen. Wenn wir noch einmal auf die Welt kommen, setze ich mich vor die Hütte und sie geht auf Bärenjagd. Im Augenblick habe ich ihr allerdings nur für Sonntag gestattet, die Zügel etwas straffer zu ergreifen.

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