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Die korrigierte Natur

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Pudowkin hat uns erzählt, wie er einmal verzweifelt einen Granateneinschlag in der Natur verfilmen wollte, der immer wieder im Bild matt, unnatürlich wirkte. Erst als Pudowkin zu mogeln anfing und die einzelnen Phasen zerstückelte und wieder zusammensetzte, ergab sich ein verblüffender „natürlicher“ Effekt. Und damit war nicht nur der filmdramaturgische Begriff der „Montage“ geboren (die der Amerikaner Griffith schon vor ihm instinkthaft angewendet hatte), sondern ein uraltes Gesetz aller „darstellenden“ Kunst, durch Unnatur (Kunst) Natur, durch Subjektives objektiv Scheinendes zu produzieren, für den Film neu entdeckt. So gesehen ist es unsinnig, Walt Disneys „Entdeckungsreisen im Reiche der Natur“ Künstelei vorzuwerfen. So wie auch diesmal wieder, in „Wilde Katzen“, Herr und Frau Jaguar mit ihren Teenagern lieben, kämpfen, jagen und morden, wie die Wildschweine am Amazonas, die Ameisenbären, Ottern, Riesenfische und Krokodile fressen und gefressen werden, vor allem aber, wie die Clowns des Dschungels, die Affen, Schabernack treiben: genau so wirkt es unerhört natürlich und, selbstverständlich — eben weil es so raffiniert gestellt und so unfaßbar mühevoll gearbeitet iii? Wehe uns, wenn uns Kultutfilmer die Natur präsentieren wollen, „wie sie ist“ — das ist schon vorgekommen und war in der Regel nur eine schlechte Ausrede für Pech oder Nichtkönnen. Disney und seine Leute aber korrigieren die Natur und beschwindeln uns auf Schritt und Tritt. Und das genau ist Film, zutiefst Film.

Englischer Humor trifft wieder einmal ins Schwarze: „Ihr Charme bezwingt die Männer.“ Wessen Charme? Mylene Demongeots, diesmal kein Sexweibchen, sondern eine naive blonde Circe mit Herz, Gemüt und geradezu metaphysischem Charme. Der Film kitzelt den Mangelberuf des Dienstmädchens, und das wieder ist nicht eigentlich ein typisch englisches, sondern ein internationales Malheur.

Zweimal Hannes Messemer! Er möge sich um Himmels willen seltener machen. Alle Tage ist nicht Sonntag, das heißt „II Generale della Rovere“. Weder die von dem Wiener Regieneuling Michael Kehlmann zwar recht spannend, aber doch recht kalt gedrehte Satansreportage „Die rote Hand“ noch die klobige Aktualität der Waffenschmuggelei in der „Brücke des Schicksals“ sind seiner würdig. Wie überhaupt Deutschland diesmal eine schwarze Woche hat, auch im Lustspiel, sofern man „Der letzte Fußgänger“ und „M a 1 drunter, mal drüber“ noch so nennen kann.

Zwei Huckleberry-Finn-Filme habe ich in Erinnerung, einen stummen und einen tönenden mit Mickey Rooney; es soll noch einen dritten gegeben haben. Auch der neueste, vierte, wieder amerikanische, hat allen Charme der Mark-Twainschen Abenteuerlust, mit einem Schuß frühen, echten sozialen Mitleidens. Schade, daß uns die deutschen Verleiher für so dumm halten: uns den Originaltitel zu unterschlagen und den Film „Abenteuer am Mississippi“ zu nennen.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): IIa (Für alle; für Kinder gewisse Vorbehalte): „Wilde Katzen“, „Als Lachen Trumpf war“, „Der letzte Fußgänger“ — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Mal drunter — mal drüber“, „Abenteuer am Mississippi“ — IV (Für Erwachsene): „Ihr Charme bezwingt die Männer“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Der brave Soldat Schwejk“, „An der Endstation“, „Die Brücke des Schicksals“, „Der Arzt und die Teufel“ — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Zentrale Chikago“. — = empfehlenswert, = sehenswert.

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