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Die Kunstkenner

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Sofort nach der Erklärung Herrn van Mugerens, daß er außer den „Emmausjüngern“ noch zahlreiche andere Gemälde „aus dem 17. Jahrhundert hergestellt habe“, überfiel uns Kunstkenner eine tödliche Unruhe. Begleitet von Dr. Tyntjes dem berühmten Sachverständigen der Ming-Dynastie und von einigen anderen, denen man ebensowenig ein X für ein U vormachen kann, eilten wir zum Rijksmuseum. Der Pförtner, der uns herankommen sah, brach schon von ferne in ein schallendes Gelächter aus. „Wertlose Schmiererei!“ rief er, den Daumen über die Schulter, auf die Säle zeigend. Wir standen wie ver-stelnert da. Der Mann riß die Knöpfe von seiner Uniform und warf sie an die Decke. Hierauf kehrte er sich um, griff eine italienische Statue und warf diese mit einem Knall gegen die Wand. „Pfuscherei“, erklärte er, „rechts ab, bitte. Sie können rauchen und alles, was Sie wollen.“ Wir traten hinein. Sofort im Rubens-Saal war es schon nicht in Ordnung. Die Museumswärter lagen auf den Kanapees und rauchten Pfeifen, die Beine in der Höhe auf den Stuhllehnen. Die Possen, die sie sich zuriefen, hatten das Bittere, das Enttäuschte kennzeichnet. Die Schildchen „Nicht berühren“ und sogar die Schildchen „Nicht spucken“ hatte man entfernt. Man durfte jetzt alles berühren. Man durfte auch auf alles spucken. Ja stärker noch, man wurde hierzu ermuntert mittels Schildchen? „Spuk- ken, bitte. Schund.“

Mein Freund, Dr. Brilstra, der bekannte Donatelli-Kenner, trat mit Scheu auf das berühmte Stilleben „Apfel mit Pferd“ zu. Wie immer, kamen die Tränen bei ihm wieder zum Vorschein: Brilstra kennt sich im Stilleben so gut aus. Einer der diensthabenden Saalwärter hakte es aber ruhig von der Wand ab, legte es auf den Boden und stellte sich darauf. „Falsch“, legte er aus, die Füße darauf abstreifend, „wertloses Gepfusche. Ich danke Ihnen.“ Er fuhr mit der Hand an die Mütze und ging weg.

Aus dem anstoßenden Saal erklang ein lautes Geklirre, dem ein herzliches Lachen folgte. Mein Freund Dr. Habermehl der einzige in Europa, der etwas vom Cojolano- Zeitalter weiß erblich. Wir stürzten herbei. Zu spät. Die unsterbliche Venus Holbeins war zertrümmert. Der Saalwärter erklärte zwar, daß er es nicht absichtlich getan habe, aber sein Kamerad blinzelte mir zu. „Falsch“, erklärte er, „eine erbärmliche Kopie. Los!“ Und mit einem dünnen, kleinen Stock schlug er eine „Mutter mit Kind“ von einer kleinen Säule ab. „Aber zweifelt ihr denn an allem?“ fragte mein Freund Dr. Hopjens, der fast nichts von dem überschlagen hat, was über das Quarzzeitalter geschrieben steht.

„Oh, was dieses betrifft“, antwortete der Mann, „wir Wärter haben immer gezweifelt. Ich bin hier nun zwölf Jahre, und es ist noch nicht ein Tag vorübergegangen, daß ich nicht gezweifelt habe. Die einzige Gewißheit für uns Saalwärter war die Sperrsturtde. Und nun bekommen wir recht.“ Er nahm, während er sprach, eine kleine Statue auf und brach sinnend das Köpfchen ab. „Es ist nett“, verfolgte er, durch die Oeffnung in das Innere schauend, „daß wir das Zeug nun endlich häßlich finden dürfen. Es ist übrigens auch häßlich. Und die Menschen finden es nett. Sie stehen Dingen freier gegenüber, es gibt mehr Fühlung, mehr Begriff für den Schund.“

Wir warfen einen Blick um uns herum. Ueberall auf den Kanapees saßen Menschen, die Butterbrote aßen und die umgebenden Kulturerscheinungen mit einem Blick kindlicher Unbefangenheit anschauten. Vor Babinskys „Lebensrausch“ saß ein Unternehmer und rauchte eine Pfeife. Dann und wann nahm er die Pfeife aus dem Mund und rief: „Du liebe Zeit, wie hat man den Kram zusammenschmieren können.“ Er bückte sich vornüber und kratzte mit dem Messer die Farbschicht ab. „Noch falsch dazu“, sagte er. Wir eilten zum Direktor.

„Sag mal“, fragte mein Freund Doktor Pothof nahezu der einzige, der etwas vom Ling-Zeitalter weiß, „gibt es etwas Echtes?“

„Von zwei Bildern bin ich sicher“, antwortete der Direktor, sich die Tränen abwischend, „beide von Johan van Mugeren. Wenn die nicht echt sind...?“

Wir eilten dorthin. Da hingen sie. Mein Freund Prof. Jongemans, der bekannte Van- Mugeren-Kenner, schraubte eine Lupe an sein rechtes Auge u-4 schaute angestrengt in die andere Ecke.

„Falsch“, sagte er.

Der Direktor erstarrte.

„Aber es steht J. v. M.“, stöhnte er.

„Eben“, sagte mein Freund, „und darum ist es ein Jan Vermeer.“

Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens

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