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Die letzte Pantomime

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Charlie Chaplins .City Lights (.Lichter der Großstadt“) entstand in den Jahren 1928/30 auf einer letzten einsamen Insel des Stummfilms — er ist wohl Ton-, aber nicht Spredj- und Geräuschfilm, für den er an mehreren Stellen nur blutigen Hohn übrig hat. Chaplin wollte damals seinen klassischen Pantomimen (Pilgrim, Kid, Zirkus und Goldrausch) einen Napöleon-Film in historischem Kostüm nachschicken, verschob den Plan aber, um .rasch noch einen Film in alter Manier zu drehen. Die Arbeit an ihm währte geschlagene zwei Jahre. Es wurde der Schwanengesang des Stummfilms, das letzte Märchen der Filmpantomime. .Lichter der Großstadt“ ist ein Märchen, wenn auch schon merklich mit jenen politischen Spaltkeimen behaftet, die dann in der Folgezeit die künstlerische Originalitiät und Universalität Chaplins zerbrechen sollten. Aus düsteren Jugenderinnerungen des Londoner Armeleutjungen und den bitteren Beobachtungen des Millionärs von Beverly Hills formte sich in Chaplin jene scharf akzentuierte Konfrontierung des Strolches mit dem steinreichen Quartalsäufer und die bittersüße Werbung um das blinde Blumenmädchen, das am Ende in doppeltem Sinne sehend wird — der schönste, tiefste Resignationsschluß der ganzen Filmgeschichte. Bewundernswert noch heute, da eben eine Reprise diese Erinnerungen beschwört, die traumwache Sicherheit, mit der Chaplin sentimentale Tragik und groteske Komik, Liebesblick und abstürzenden Blumentopf mischt — das untrügliche Kennzeichen von echtem Humor.

.Lichter der Großstadt erschien auf dem äußeren Höhepunkt von Chaplins Laufbahn (den künstlerischen bedeutete .Goldrausch ). Bald darauf begann das Unglück: Moderne Zeiten, Der Diktator, Monsieur Verdoux. Nun soll „Rampenlicht ein Come-back versuchen. Man bangt darum. Den .Mann, der zweimal leben wollte , gibt es nur in der Filmfabel, aber nicht in der Wirklichkeit.

Wenn man den Docht der Lampe zu hoch schraubt, leuchtet sie nicht mehr, sondern rußt. Dieser Lapsus unterlief Carol Reed, dem Schöpfer des „Dritten Mannes , Filmanwalt par excellence der Gejagten und Gehetzten, in dem neuen englischen Film „Der Verdammte der Inseln . Die Fabel, das Lumpenstück eines Kolonialverwalters und seine Ächtung durch Weiße und Farbige, bedeutete an sich noch keine Versuchung dazu. Die eigentliche Klippe war die Verlockung, durch Originalaufnahmen in Singapur und auf malaiischen Inseln ein Höchstausmaß an gepreßter Atmosphäre zu erzielen. Und hier strandete Reed. Alle Gesetze der Vernunft und Charakterzeichnung wurden rück6ichtlos der hochgezüchteten Milieuspannung geopfert — das Ergebnis ist ein überheizter, überreizter Abenteuerreißer von mittlerem Gesamtwert. Es wäre ungerecht, dabei die klare geistige Grundhaltung des Films, die 6charfe Profilierung der Eingeborene^weit und die Löwenklaue des Regisseurs in einzelnen großen Szenen zu übersehen. Aber das ist zu wenig und enttäuscht die hohen Erwartungen, die sich nun einmal an Rang und Namen dieses Vollblutfilmers knüpfen.

Dreisers „Eine amerikanische Tragödie sehen wir nun zum dritten Male im Film. Keine der drei Fassungen hat den Mut, Dreisers aufrichtigen, kühnen Realismus und seine harte Kritik an der Ellbogenlebensart, die allein den riskant-umfassenden Titel des Romans rechtfertigt, in die Filmsprache zu übersetzen. Man verschob ehedem den Schwerpunkt zum Kriminell-Spannenden oder Pro- zessual-Prickelnden hin. Auch jetzt wird die Frucht fast ganz des sozialkritischen Kernes beraubt, diesmal aber ist der Re6t nur süßes, saftiges Filmfleisch: Gefühl. Die Sondra Finchley des Dichters’, jene kühle blonde Exklusive, verwirrendes Sinnbild der Welt der oberen Zehntausend, derentwegen Clyde Griffiths das Arbeitermädchen Roberta in voller Absicht ertrinken läßt und dafür am elektrischen Stuhl büßt, wird im Film eine dunkle, hingebungsvolle, über alle Schranken hinweg liebende, opfernde „Angela Vickers“, die noch dem Mörder die Treue hält (so gesehen viel sympathischer al6 das ewig raunzende Mordopfer!) — und der ganze Film damit keine amerikanische Tragödie, sondern ein mitteleuropäischer Frauenroman. In dieser Art und diesem Range allerdings bietet er Überdurchschnittliches, ja im einzelnen der Darstellung und Spielführung sogar Großes.

Uber einen sauberen DEFA-Film „D i e Meere rufen“, den sujetverkrampften deutschen Kriminalfilm .Kronjuwelen and den derben Banemspaß .Der eingebildete Kranke dacht sich in dieser Woche noch ein brillant gedrehtes englisches Lustspiel „Einmal Millionär sein , das freilich auch ein ernstes Bedenken auf- wirft: ob denn nicht solche perfekte Kriminaltaten mit ihrer unverkennbaren Sympathie für den Täter ernstlichen Schaden stiften können. Roman Herle

Fi 1 mechau (Gutachten der Katholischen Bümkommiseion, Nr. 12/11 vom 19. März 1952): H (Für alle zulässig): „Lichter der Großstadt“. QI (Für Erwachsene und reifere Jugend): ,lm Lande der Comanchen“. IV (Für Erwachsene): .Einmal Millionär sein.. .1 , .Der Verdammte der Inseln . IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): .Wer zuletzt lacht , .Kronjuwelen .

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