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DIE OPFER DER REKLAME

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In den USA zahlen die glücklichen Besitzer eines Fernsehapparates — und das sind, abgesehen von ein paar „unverbesserlichen Querulanten“ fast alle Amerikaner — bekanntlich keine Konzessionsgebühr. Die drei großen Fernsehgesellschaften NBC, CBS, ABC verkaufen ihre Programme der Privatindustrie. Die „Colgate-Zahnpasta“, die „Parliament-Zigaretten“, „Tristans Hustenmittel“, die Ramblerwerke und unzählige andere Firmen finanzieren die „Shows“, die Filme, den aktuellen Dienst, ja selbst die Wetterberichte des amerikanischen Fernsehens. Infolgedessen muß jedes Programm alle paar Minuten durch Reklamesendungen unterbrochen werden. Durch „bunte Liedchen“, „kleine Anekdötchen“, „Glamourmädchen“ und Zeichentrickfilme wird dem Zuschauer immer wieder die Güte der verschiedenen Produkte vor Augen geführt. Ganze Stäbe von Werbefachleuten überprüfen die Wirksamkeit solcher „Gehirnwäschemethoden“ durch Marktanalysen, Meinungsforschung und durch das Erstellen von Verkaufsstatistiken. Längst ist erwiesen, daß die Televisionsreklame weit wirksamer ist als die Zeitungsreklame, und dies nicht zuletzt dank der Kinder.

Das amerikanische Kind sitzt stundenlang vor dem Fernsehapparat. Es bewundert und bestaunt alles, was im Verlaufe von 24 Stunden auf der magischen kleinen Bildfläche geschieht. Kinder lassen sich gerne von dem „lustigen Männchen“, das über den Bildschirm hüpft und dazu singt, überzeugen, daß das Putzmittel „Handy-Andy“ dreimal so wirksam ist wie jedes andere. Sie werden es nicht verfehlen, „Mama“ beim nächsten Gang in den „Supermarket“ auf „Handy-Andy“ aufmerksam zu machen. Dies wissen die Reklamefachleute ganz genau.

Dürften Kinder nur rauchen und Bier trinken, hätten sie nur genügend Geld um Autos, Waschmaschinen oder Kühlschränke zu kaufen, die amerikanische Konsumgüterindustrie wäre alle Verkaufssorgen los.

Soziologen und Psychologen haben die verheerende Wirkung der Reklamesendungen auf heranwachsende Kinder genauestens studiert. Aber von seiten der Großfirmen wurde ebensoviel Tinte verspritzt, um die Wirkung solcher Berichte wieder zu neutralisieren. Die Television erweitere den Horizont der Kinder, wird behauptet, sie vermittle einen Blick in die Welt, sie bereichere den Wortschatz.

Gewiß, Sechsjährige buchstabieren fehlerlos die Namen der verschiedenen Produkte, sie kennen den Gebrauch eines jeden Putzmittels. Ihr geographisches Wissen hat sich ebenfalls „vertieft“, denn jetzt kennen sie Orte wie „Malibu Run“, „Sijoset Strip“, „The Ijiaked City“ und „Tombstone“. Sie wissen, daß „gute Cowboys“ niemals schwarze Hüte tragen. Sie qiTien, wie man einen Mord plant und wie man ihn ausführt. Manchmal ist der „erfolgreiche“ Mörder auch ein Kind wie sie selbst, das ein anderes auf erfindungsreiche Weise umbringt. Aber auch die erwachsenen Gangster „variieren“ das Thema: „Wie erschlage ich meinen Nachbarn?“ immer wieder in neuer und interessanter Weise.

D ie Kinder schauen sich nachgewiesenermaßen alle TV- Programme an, angefangen von den speziellen „Kindershows“ bis zu den „Mystery-Movies“. Wenn die Filmleute in Hollywood zum Beispiel befürchten, die Eltern könnten von den vielen „Fernseh-Cowboys“ genug bekommen, laufen die Wildwestfilme eine Zeit lang unter dem Titel „Amerikanische Geschichte“. Keine Sorge! Die Kinder merken sich diesen Wechsel sofort.

Auch in naturwissenschaftlicher Richtung wird viel getan, um „Wissenswertes“ an die Kinder heranzutragen. Da gibt es zum Beispiel „Weltraumopern“. Die Walt Disney Production wurde auf drei Jahre verpflichtet, regelmäßig solche „Weltraumfahrts“-Programme für Kinder in den Äther zu strahlen. Die dazugehörigen Reklamesendungen werden die Vorteile der Farbtelevision anpreisen. Nichts also wird den „Fortschritt der Technik“ mehr aufhalten können: In drei Jahren wird fast jeder Amerikaner glücklicher Besitzer eines Farbfernsehapparates sein, und die Kinder werden sich freuen.

Die Zensoren des amerikanischen Fernsehens schützen zwar ihr Publikum (und natürlich vor allem die Kinder) von allerhand unlauteren Dingen. Mord, Totschlag, Haß, Intrigen und Folterungen allerdings dürfen gezeigt werden — aber mit „Sex“ ist man einigermaßen rigoros. Allzuviel „Nacktes“ darf auf dem Bildschirm nicht erscheinen, außer es handle sich um Reklame für Büstenhalter oder Strumpfgürtel. Das ist „selbstverständlich etwas anderes“.

Unanständige Worte wie „Nachttopf“ werden rücksichtslos von der Zensur verbannt, doch nichts, gar nichts kann die Kinder vor den Reklameslogans schützen und — Gott be-

wahre! — niemand scheint dies auch zu wünschen. Ganz im Gegenteil, diese werden eigens für die jügendlichen Zuhörer erfunden. Sie sollen sich merken, daß man nicht ein Bier, sondern ein „Lost“ verlangt, nämlich „Lost“-Bier. Eine Vorliebe für bestimmte Produkte soll schon frühzeitig in den Kindern geweckt werden.

So züchtet sich die amerikanische Industrie ihre zukünftigen Konsumenten. „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ lautet die eine Devise, „Was der Wirtschaft nicht nützt, gehört nicht auf den Bildschirm“, lautet die andere. Nach diesen beiden Grundsätzen allein werden die Programme des amerikanischen Fernsehens gestaltet. Ob das jugendliche Publikum dadurch negativen psychischen Einflüssen ausgesetzt wird, bleibt dabei völlig gleichgültig.

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