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Die Schatten

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Gefährlich?

Das berühmte Kleeblatt „Autor, Spieler und Publikum“ haben es im Filmbereich nicht leicht. Der Autor: redet und schreibt und phantasiert, was das Publikum will, oder er findet für seine eigenen Ideen einen gut gelaunten Geschäftsmann. Der Spieler: wird durch das Publikum zum Star oder geht als längst verblaßtes Sternchen in den Kulissen unter. “Das MbljJctJrri: ist allmächtig und deshalb ein unberechenbares Anonym, Für alle .drei ist. die Filtnarbeit gefährlich: kefrienf wird ge*ge*ben;' was“ ihm seiner Definition nach zukäme.'Aber was in aller Welt ist nicht so, daß es gefährlich werden kann? Gefährlich sein und gefährdet sein — das sjnd keine ethischen Etiketten, sondern menschliche. Darum gilt die Barmherzigkeit diesen dreien zuerst; — Aber der Film, der fix und fertige Film? Der hat ein Eigenleben in vielen Kopien seiner selbst. Er ist unter Umständen in einer:Art,,gefährlich, für die es kein Erbarmen geben- kann. Daran sind dann nicht die Autoren und Spieler und Produzenten allein schuldig. Aber auch nicht nur das ungezogene Publikum. Schuld daran dürfte sein, daß das Atelier auf den Vorführraum keine Rücksicht nimmt oder umgekehrt. Der fertige Film bedeutet Krieg oder Frieden zwischen Fabrikant und Käufer.

Beim 'Filmen spielt die Phantasie eine bedeutende 'Rolle. Aber der Film macht den Zuschauer phantasielos. Da sitzt Lieschen Müller im Kino und läßt alles über sich ergehen. Je besser die Filmarbeit gelang, um so weniger angestrengt ist das Publikum. Zwei Stunden lang läßt' man , sich fangen öder langweilen und braucht nur hin- oder wegzusehen. Alles andere kommt von selbst. Das verdirbt die Eigenarbeit unseres Vorstellungsvermögens. (Wie schön und anstrengend waren dagegen die Märchenerzählungen der lieben Großmama!) — Aber im Anschluß an die zwei Stunden Unterdruck im Phantasiebereich erwacht die Indiskretion: je schmutziger die Andeutungen waren, um so fVger beginnt das eigene Bildmaterial in der Seele sich zu entfalten.

Wer nicht ein routinierter Kinogänger ist, braucht, auch nicht viel zu denken. Er bedeckt nicht-mit.dem Sieb der Kritik, was sich vor ihm abspielt — er muß ja zusehen, damit ihm nichts entgehe. Denkt er nach über den Film, dann ist's meist zu spät: die Eindrücke sind bereits eingedrungen und spielen ihr Eigenspiel. — Anderseits ist nichts törichter als eine Filmexegese. Gerade bei „problematischen“ Filmen sucht jeder etwas anderes verstanden zu haben,' und die Diskussionen sind endlos. Dabei ist der fertige Film wirklich mysteriös: selten treffen sich die Meinungen des Ateliers mit denen des Publikums. Was als wichtig angesehen wird von der einen Seite, wirkt nicht, kommt nicht an. Was der anderen Seite auffiel,war oft ein Mißgriff, ein Zufall, ein technischer Fehler (wie bei der Kochkunst). Das Denken beim Film und über den Film — beides muß geübt werden (wie es uns übrigens beim Theater längst gelingt).

Rücksichtslos? Eine der größten Gefahren bei jung und alt bewirkt der Film, indem er den Zuschauer „enthemmt“: auf der Leinwand sind ganze Charaktere (vom Zar bis zum Zimmermann, vom leichten Mädchen bis zur Königin). Menschen ohne Bruch. Ganz heroisch. Ganz sentimental. Ganz verrucht. Ganz heilig. Immer ganz. So ganz kann ich Zuschauer gar nicht sein, denn ich habe Hemmungen: gute und schlechte Hemmungen aus Erziehung, Milieu, Angst oder sonstigen Kriterien. Jetzt wirkt der „Held“ auf mich und ich verliere meine Rücksichten: die guten ebenso wie die schlechten. Ich schwinge mich auf zu einer gleichen Ganzheit — und ich weiß nicht, daß ich sie nicht bin, nicht kann, niemals können werde, weil mein enthemmender Heid eine Spielfigur der Leinwand und keine Wirklichkeit des Lebens ist. Die neue Rücksichtslosigkeit fälscht mich. Ich wäre nie so gefährdet worden, wenn ich nicht den „Helden“ gesehen hätte, um „Held“ zu sein.

Für diese angetane Qual in meinem Leben räche ich mich: die Neugier, mit der ich ins Privatleben der Filmschauspieler hineinschaue. Liebschaften, Ehen, Kinder, Geld, Auto, Haus, Kleider, Worte, Reportagen — alles interessiert, weil ich meinen Filmhelden entlarven muß. Das ist Rache und Selbsterhaltung, daß ich sehen will, wie gebrochen im Privatbereich mein ungebrochener Leinwandheld ist. Sehen wir den Skandal, sind wir dennoch enttäuscht. (Denken wir nur an „Jeanne d'Arc“ der Bergman und Frankreichs Enttäuschung über „ihre Jeanne“!) Zugleich aber stellt sich die eigene Selbstherrlichkeit ein, die ich aus meinem ungebrochenen Helden gewonnen habe: ist er schon nicht das, was er beim Spiel war — jetzt bin ich es! Der Held hat „gewirkt“ ... Die Indiskretion ist also für beide Teile gefährlich. Sie erweckt in mir das zwiespältige Gefühl von Neid und Schadenfreude und zugleich eine eigensinnige Selbsttäuschung. Dem Künstler bläst sie eine falsche Lebensluft zu. Wir beide steigern einander ins Ungesunde und Lächerliche.

Das sind einige Bedenken, die warnen sollen. Das Geschlecht der „Kinoniter“ (Else Schüler-Laske) wächst — aber es wächst bei den Gewarnten bereits die Kritik. Durch den häufigen Kinobesuch und durch die Unzahl der Programme entwickelt sich von selbst ein Maßstab: wir. schauen bereits'auf Photographie, auf Schnitt, auf filmmögliche und -unmögliche Leistung der Schauspieler. Wir haben zuviel Vergleiche, selbst wenn wir nur des Zeitvertreibs wegen ins Kino gehen. Wir sind — zwar laienhafte — Fjlmexpertcn, die auf die Dauer durch den berühmten „Kassenerfolg“ oder „Kassen-Mißerfolg“ auf die Produktion einwirken werden. Das wird wohl noch eine Weile dauern, bis man uns nicht mehr für ganz dumm hält. Die Filmerei war nicht immer so, wie sie jetzt ist, und sie wird weiterhin Geschichte haben. Vorläufig können wir mit Optimismus in die Zukunft sehen — bei allen Vorbehalten, die wir derzeit haben müssen. Man muß nur warten können und behutsam — überstehen: genau wie im übrigen Leben.

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