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Die Schule und das neue Europa
Von einem neuen Europa sprechen sonst nur Wirtschaftsführer und Politiker, Generale und Finanzmagnaten. Nun haben in Linz auch Pädagogen das Thema Europa zur Diskussion gestellt.
Da saßen vor kurzem etwa hundert Männer und Frauen beisammen, die Delegierten der katholischen Lehrerschaft Oesterreichs. Nicht viel mehr als hundert. Aber hinter jedem dieser Hundert stand selber wieder eine Hundertschaft und ihre Stimmen haben Gewicht, gerade auch im Zusammenleben der Völker, denn die zehntausend katholischen Lehrer Oesterreichs gehören ja der UMEC an, der Weltunion katholischer Erzieher, die eine österreichische Schöpfung ist, und in ihr und durch sie sind immerhin mehr als 300.000 europäische Lehrer und Erzieher mit ihnen verbunden. Ein Europa im Kleinen. Als während der Verhandlungen Vertreter des Auslandes — Deutschland und des Saarlandes, Italien und Südtirols, Freunde aus Luxemburg und der Schweiz — von den Verhältnissen in ihren Heimatländern sprachen, wurde die Gemeinsamkeit der Fragen und Nöte deutlich sichtbar.
Wirtschaftsniedergang, politische Entmachtung und moralische Belastung sind, so führte Professor Dr. S t e i d 1 aus Salzburg aus, die Gründe für die Krisenanfälligkeit des alten Europa. Europa kann der außereuropäischen Welt nicht mehr Vorbild und Lehrmeister sein. Niemand glaubt ihm mehr seine christliche Humanität. Dennoch muß die Krise Europas nicht notwendigerweise zum Tode führen, sondern kann ein „Sterben“ im Sinne Goethes werden, ein Sterben, das neues Leben ankündet.
Nichts wäre verfehlter, mahnte auch Doktor Gönner vom europäischen Forschungsinstitut der Universität des Saarlandes, als sich einer Spenglerschen Untergangsstimmung zu überlassen, vielmehr haben wir allen Grund, an Sorokins Entwicklungsrhythmus zu glauben, der von Krise, Prüfung, Läuterung, Gnade und Auferstehung weiß.
Es ist Sache der Schule, der Jugend die Gemeinsamkeit der europäischen Völker begreiflich zu machen: die kulturelle Einheit trotz aller machtpolitischen Kämpfe, den gemeinsamen Aufbau des europäischen Schulwesens, die Entwicklung der Verfassung in den großen europäischen Staaten, die gesamte Bildung. Die Jugend unserer Tage ist von Schelsky eine skeptische Generation genannt worden. Der Politik steht sie apathisch gegenüber. Aber nüchternen, sachlichen Erwägungen wird sie zugänglich sein. Und es gibt, wie Gönner, der lange Zeit mit der Jugend in nächster Berührung gelebt hat, sehr überzeugend ausführte. Jugendliche genug, die schon Beweise erbrachten, daß sie Verständnis für die Fragen einer Europäischen Gemeinschaft haben.
Bei der festlichen Schlußkundgebung übernahm Unterrichtsminister Dr. Heinrich D r i m-m e 1 die Gedanken der Vortage und vertiefte sie aus österreichischer Sicht. Als die Donaumonarchie 1918 zerfiel, hatte es jahrhundertelang die Möglichkeit eines Zusammenlebens von mehr als zehn Nationen bewiesen. Dieses Oesterreich war kein „Völkerkerker“, wie die Chauvinisten behaupteten, es war aber auch kein „Schmelztiegel der Nationen“ im amerikanischen Sinne. Es war „im besten Sinn des Wortes klimatisch und geistig wohltemperiert“, wie Hammerstein einmal sagte. Deshalb bedeuten für Oesterreich die Gedanken, die auf ein vereintes Europa zielen, keine neuen Ideen. Ist doch hier ein übernationales Staatengebilde schon einmal historische Wirklichkeit gewesen.
Staatssekretär Dr. Bernhard Bergmann aus Düsseldorf schloß: Europa ist keine Utopie, sondern eine geschichtliche Notwendigkeit und eine politische, vor allem aber eine pädagogische Aufgabe. Summe der Tagung: Ueber aller notwendigen organisatorischen Kleinarbeit, über manchen schul- und standespolitischen Fragen, die zu besprechen waren, leuchteten doch immer wieder die großen Gedanken, die um das neue Europa gingen. Und in allen neun österreichischen Bundesländern, bis ins letzte Gebirgsdorf hinein, werden die christlichen Lehrer wissen: Daß ein neues Europa, ein Europa des Friedens und der Völkerversöhnung werde, das hängt neben vielem andern auch von uns ab — von unserer Arbeit in der Schule und von unserem vorbildlichen Leben.
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