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Die Unvollendete...

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RINGSTR ASSENSYMPHONIE. 3. Satz: 1884—1899. Mir bleibt nichts erspart. Von Fred Hennlnu. Herold-Verlar, Wien, 1964. 76 Seiten mit 69 Abbildungen auf 40 Tafeln und tiner Faltkarte. Preis 68 S.

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RINGSTR ASSENSYMPHONIE. 3. Satz: 1884—1899. Mir bleibt nichts erspart. Von Fred Hennlnu. Herold-Verlar, Wien, 1964. 76 Seiten mit 69 Abbildungen auf 40 Tafeln und tiner Faltkarte. Preis 68 S.

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Der dritte und abschließende Teil der „Ringstraßensymphonie“ liegt nun vor dem Leser. Was die ersten Bändchen ausgezeichnet hat, das ist auch der Vorzug des Schlußsatzes dieser Komposition: die Verdeutlichung des Zusammenhanges zwischen der baulichen Entwicklung und den allgemeinen politischen und kulturellen Verhältnissen.

Wollen wir einen anderen Vergleich wählen, wollen wir die Regierung des alten Kaisers mit einem Drama vergleichen, dann stellt die Zeit vor 1914 den vierten Akt dar. Dieser Vergleich läßt sich ganz wohl durchführen. Erster Akt, Exposition, nach der triumphalen, rauschenden Ouvertüre, dem Radetzkymarsch von Custozza: das Jahrzehnt des gar nicht reaktionären, sondern vielmehr aufgeklärten Absolutismus mit Schwarzenberg und Bach. Zweiter Akt, Schürzung des Knotens: Magenta und Solferino, Zusammenbruch des einheitlichen absoluten Kaiserstaats, Einführung des Verfassungslebens, ungarische und böhmische Frage. Dritter Akt, Höhepunkt der Handlung, Krise: König-grätz und Sedan, Schilderhebung eines Wider-Kaisers und Verzicht auf Revanche. Vierter Akt, Moment der letzten Spannung: es kann noch alles gut gehen, die Friedensjahrzehnte zwischen der letzten Mehrung des Reichs, dem Feldzug von Maglaj, und dem Auftakt zum fünften Akt, der Explosion von Sarajewo.

Es kann noch alles gut gehen. Noch ist Wien die Kaiserstadt, die Metropole zwischen Bodensee und Bosporus. Noch zeigen die Königspaläste in Belgrad und Sofia den Ringstraßenstil. Noch steigt Wohlstand und Bildung der österreichischen Völker — auch der nicht führenden. Noch ist des Kaisers Hoheit unbestritten. Es hat sich im Gegenteil ein förmlicher Kultus Franz Josephs durchgesetzt — nicht immer aufrichtig, nicht immer erfreulich. Die Künstler winden um die-Kaiserbüsten der offiziellen Prunkbauten schwere Girlanden von Lorbeer, als wollten sie die langsamen Takte bildlich darstellen, in denen die Kaiserhymne bei tiefen Akkorden anhäTET “Eingedenk der Lorbeerreiser ...“

Es kann noch alles gut gehen. Es könnte noch alles gut gehen..., aber man fühlt, daß es nicht gut gehen wird. Es war nicht nur so, daß die 1867 politisch zurückgebliebenen Völker, je reicher und gebildeter sie wurden, um so unzufriedener waren. Nicht nur die Arbeiter, die sich in Wiens Zinskasernen die Schwindsucht und den Marxismus holten, waren unzufrieden. Nein: Gerade in den bevorrechteten Klassen, bei den Söhnen der reichen Bürger, ging ein rastloses Unbehagen um. Mehr noch: Der Schlußstein des Gebäudes, das Erzhaus, war morsch geworden. Die Hoheit wurde als Last empfunden, schon hatten kaiserliche Prinzen Mittel gefunden, die Last abzuwerfen. Und dann warf der Erbe Krone und Leben weg: Mayerling.

Der Kaiser arbeitete weiter, in der Haltung der Schildwache von Pompeji. Aber er hatte keinen Anlaß mehr, die Planung der Kaiserfora auszuführen. Gewiß hat der Autor recht, wenn er hervorhebt, wieviel besser uns die Parkland-schaft zwischen Heldenplatz und Rathaus gefällt, als die geplante Entsprechung zu Alt-Rom und den Tuilerien. Gewiß! Doch als Symbol war die Aufgabe des Plans ebenso bedeutsam, wie schon die Mängel der Neuen Burg selbst kein Zufall sind.

Unvollendet blieb also der Palastbezirk; die Ringstraße blieb ohne die natürliche Fortsetzung am Donauufer; noch war sie selbst nicht fertig, und schon war der eigentliche Ringstraßenstil zu Ende. Das Kriegsministerium zeigt einen ganz anderen Charakter, ihm gegenüber die Postsparkasse wieder einen anderen. Ein Zeitalter war vorbei.....und das neue öffnet sich mit Mord“.

Es ist nicht nur der Beruf des Autors, der es mit sich bringt, daß dem Theaterleben in diesem Band viel Raum gegönnt wird. Das aufrichtige, ja leidenschaftliche Interesse für die Bühnenwelt gehörte zur Art des Ringstraßenzeitalters. Und da hier ein Bauvorhaben geschildert wird, welches doch wesentlich von der Person des Kaisers abhing, so mußte auch dessen Freundschaft mit der Schauspielerin Katharina Schratt erwähnt werden. Auch in dieser Freundschaft wurde der Kaiser von seinem Pflichtgefühl beherrscht — was hier mit aller Deutlichkeit gesagt wird.

All diese geschichtlichen Zusammenhänge werden nun aber mit dem nüchternen Augenmaß beschrieben, welches dem Historiker ziemt. Wir sind weit entfernt von einer nach Marzipan schmeckenden patriotischen Darstellung; und nur der Umfang und das eigentliche Thema hindern den Autor, noch mehr auf die Kundgebungen und Ursachen der Unzufriedenheit einzugehen.

Wir kämen zu keinem Ende, wollten wir all die bedeutsamen Einzelheiten nennen, an denen in diesem Bändchen die Verbundenheit der Ringstraße mit der Geschichte gezeigt wird: die Besitzveränderungen — der erste Mai, einst fröhliches Korso, dann Tag der sozialistischen Umzüge —, die Wanderungen der Denkmäler, denen der Autor ein ergötzliches Kapitel gewidmet hat.

So wollen wir denn nun auf die reichlichen Illustrationen hinweisen, welche mithelfen, das Werk zu einem dokumentarischen, für den Geschichtsfreund wertvollen, zu machen. Es ist kaum nötig, ihm einen weiten Leserkreis zu wünschen, denn schon haben die Wiener an diesem liebevollen Schilderer ihrer Vergangenheit Gefallen gefunden; und die Leser aus „Großösterreich“ werden gewiß folgen,

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