Dorothy Thompson - © Foto: Getty Images / CBS

Dorothy Thompson über Populismus: „Das war’s dann mit der Republik“

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Die US-amerikanische Journalistin Dorothy Thompson berichtete aus Wien und Berlin, bis sie 1934 ausgewiesen wurde. In „I Saw Hitler!" reflektierte sie 1932 Hitlers Populismus. Er ist „einer von ihnen“.

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Die US-amerikanische Journalistin Dorothy Thompson berichtete aus Wien und Berlin, bis sie 1934 ausgewiesen wurde. In „I Saw Hitler!" reflektierte sie 1932 Hitlers Populismus. Er ist „einer von ihnen“.

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„Es ist beschämend und aufreizend, daß so dumme Frauenzimmer, deren Gehirn nur aus Stroh bestehen kann, das Recht haben, gegen eine geschichtliche Größe wie den Führer überhaupt das Wort zu ergreifen.“ Was sich beinahe liest wie ein gehässiger, frauenverachtender Tweet, findet sich 1942 im Tagebuch von Joseph Goebbels. Der Eintrag gilt einer Frau, die alles andere als dumm war und mit ihren Schriften wohl auch deswegen den Propagandachef der Nationalsozialisten zu solchen Kommentaren reizte. Die 1893 in Lancaster, New York, geborene US-amerikanische Journalistin Dorothy Thomp­son berichtete aus Österreich und Deutschland und war nach ihrer Ausweisung aus Deutschland 1934 berühmt geworden. Die New York Times widmete ihr eine Titelseite, Thompson warnte im Radio, in Vorträgen und Zeitungen vor dem Faschismus, auch jenem in den USA.

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1931 hatte sie nach vielen Versuchen (sieben Jahre lang hätte sie es probiert, schreibt sie 1932 in „I Saw Hitler!“) endlich die Gelegenheit, Adolf Hitler zum Interview zu treffen. Dieser wurde nach seinem Putschversuch 1923 inhaftiert, allerdings nach kürzester Zeit wieder entlassen und danach, wie Thompson anmerkt, „legal“: „Es war keine Rede mehr von einem Marsch auf Berlin. Die Menschen sollten ‚erwachen‘, und Hitlers Bewegung sollte dafür sorgen, dass sie die Diktatur wählten! An sich eine faszinierende Idee. Man stelle sich einen Möchtegern-Diktator vor, der sich aufmacht, ein souveränes Volk dazu zu überreden, seine eigenen Rechte abzuwählen.“

Propaganda unter Kontrolle

Es kommt zu Massendemons­trationen, Schlägertypen in braunen Hemden werden zu Hitlers privater Miliz, sogar eine Verlagsgruppe hat sich gebildet: die Propaganda ist unter Kontrolle. Und die Wählerstimmen nehmen zu. „Allen Erwartungen zum Trotz haben sie sich zur größten Einzelpartei des Reiches entwickelt. Sie sind reif für die Macht“, stellt Thompson fest.

Zu diesem Zeitpunkt also erhält sie Gelegenheit für ihr Interview. „Die Vorbereitungen gestalteten sich überaus umständlich. Nicht so, wie man es von einem Mann erwarten würde, für den ‚die Tat‘ alles bedeutet. Ich erwartete eher ein kurz angebundenes ‚Kommen Sie!‘ Stattdessen muss ich Fragen einreichen. Schriftlich und vierundzwanzig Stunden im Voraus.“ Auf drei Fragen muss sie sich beschränken, sie beginnen mit der allgemein verbreiteten Überzeugung: „Wenn Sie an die Macht kommen ...“.

Ein Interview freilich ist das kaum, „denn man kann mit Adolf Hitler kein Gespräch führen. Er redet die ganze Zeit so, als wäre er auf einer Massenveranstaltung“. So entsteht daraus auch schriftlich kein Interview, sondern eine Art Reportage, ein Essay, eine Reflexion ihrer Beobachtungen, samt einer kommentierten Auswahl von Bildern. Dank des Verlages „Das vergessene Buch“ ist „I Saw Hitler!“ nun zum ersten Mal vollständig auf Deutsch zu lesen („Ich traf Hitler!“). Der Titel – mit Rufzeichen – spielt wohl auf die begeisterten Zeitgenossen an, die Hitler getroffen haben, man kann das „sehen“ allerdings durchaus auch als „erkennen“ verstehen. Und von diesem Erkennen zeugt dieses Buch.

Faszinierend ist nicht nur Thompsons Stil, sondern auch ihre Wahrnehmungen und die Gabe, komplexe und geschichtliche Zusammenhänge wie im Vorübergehen zusammenzufassen. Ab und zu gibt es Hitler wörtlich. Was er sagt, klingt alarmierend: Arbeitslose möchte er in Baracken unterbringen und zum Soldatensold im Staatsdienst beschäftigen. Er werde legal an die Macht kommen. „Dann werde ich das Parlament und die Weimarer Verfassung auflösen. Ich werde einen autoritären Staat errichten, von der kleinsten Einheit bis in die höchsten Instanzen. Überall wird es oben Verantwortung und Autorität und unten Disziplin und Gehorsam geben.“ – „Das war’s dann mit der Republik“, kommentiert Thompson lapidar. Das war 1932 zu lesen.

Ich sah in ihm den Kleinen Mann. Aber vielleicht liegt darin, und gerade darin, das Geheimnis seines enormen Erfolges.

Dorothy Thompson

„Als ich Adolf Hitlers Zimmer betrat, war ich der festen Überzeugung, dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen. Keine fünfzig Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war. Solange dauerte es in etwa, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die Welt in Atem hielt ....“ Wie sehr sie doch geirrt hat, möchte man sagen, und einige männliche Kollegen haben ihr denn auch unterstellt, Hitler unterschätzt zu haben. Darauf weist Oliver Lubrich in seinem informativen Nachwort hin; er liest den Text genauer.

Mag sie auch Zweifel gehabt haben, ob Hitler selbst die Machtübernahme gelingen werde – „Doch vielleicht hat der Trommlerjunge ja Kräfte freigesetzt, die stärker sind als er ahnt. / Wenn ja, wer wird nach ihm kommen?“ –, sie hat bei ihrer Begegnung und durch die vielen Gespräche, die sie damals führte, aber etwas ganz Grundlegendes durchschaut. „Ich sah in ihm den Kleinen Mann“, schreibt sie nämlich wenig später in ihrem Text. „Aber vielleicht liegt darin, und gerade darin, das Geheimnis seines enormen Erfolges.“ Denn die Nazis hätten „es auf den Mann abgesehen, der wie Hitler selbst war, der kleine Wähler aus der Mittelschicht“. Hitler ist einer von ihnen, er verspricht ihnen Heil. „Ladenbesitzer, die bei den Großhändlern verschuldet sind; Familienväter, die den Metzger nicht bezahlen können; Bauern, die Geld für ihre Hypothek brauchen; junge arbeitslose Männer. Ihre Nöte, ihre Sorgen, ihre tägliche Misere sind weiß Gott nicht selbst verschuldet. Sie sind gute Männer und gute Christen gewesen. Und dieser Mann dort oben ist einer von ihnen.“

Wirkung, nicht Wahrheit

Thompson hat verstanden, wie Populismus funktioniert: „mit einer „Spur von Hysterie“, einer „Stimmung von Jugendlager“, es geht um Wirkung, nicht um Wahrheit. „Diese Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie klingt für jeden halbwegs gebildeten Menschen hanebüchen. […] Aber Vernunft hat die Welt noch nie vom Hocker gehauen, und Hitler, der begnadete Agitator, weiß das.“ Menschen werden aufgewiegelt, in einem Land, „in dem alle den Druck von heute und die Unsicherheit von morgen spüren.“ Wer ihm zuhört, fühlt sich emporgehoben. „Wenn man verschuldet ist, im Leben keinen Erfolg hatte – so gehört man dennoch, wie Hitler sagt, zur RASSE.“ Nationalismus und Patriotismus als „einfachste Form der Selbsterhöhung“.

Denn: „Jedermann ist ein König, solange er noch einen unter sich hat.“ So wird es 1935 in Sinclair Lewis’ Roman „It can’t happen here“ (deutsch: „Das ist bei uns nicht möglich“) heißen. Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1930 hat in diesem Roman viele Erkenntnisse seiner damaligen Ehefrau Dorothy Thompson verarbeitet. Er erzählt Aufstieg und Machtübernahme eines Populisten und das Versagen der Intellektuellen, die viel zu lange denken: Das kann hier nicht passieren.

Doch, es kann. Und wie es vor sich geht, das zeigen beide Texte, Dorothy Thompsons Reportage-Essay „I Saw Hitler!“ ebenso wie Sinclair Lewis’ Roman „It can’t happen here“. Sie reichen Analysewerkzeuge, für jede Zeit, für überall.

"Ich traf Hitler!" - © DVB
© DVB
Buch

"Ich traf Hitler!"

Von Dorothy Thompson
Übersetzt von Johanna von Koppenfels, hg. von Oliver Lubrich
DVB 2023
267 S., geb., € 26,95

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