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Dort möchte ich jetzt sein!

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Oh ja, ich möcht' wieder einmal im „Windows on the World” essen, dem legendären Restaurant an der Spitze des New Yorker Empire State Buildings. Ob ich schon einmal im „Windows of the World” gegessen habe? Leider nein, aber gemocht' hab ich schon oft. Die Küche des Restaurants im Dachgeschoß des World Trade Center soll sich in letzter Zeit sehr verbessert und verfeinert haben. Gut zu wissen, falls mich ein generöser Auftraggeber fragen sollte, wo er mich in New York ausführen darf. Aber man ißt an solchen Plätzen ja wohl hauptsächlich wegen des grandiosen Blicks.

Das sind so die Gedanken, die einem beim Blättern und Lesen in dem Buch „bon appetit” von Walter Vogel kommen. Es ist ein Buch über fremde Länder, fremde Städte, empfehlenswerte Örtlichkeiten. Mit Fotos, die den Beschauer ausrufen lassen: Dort möchte ich jetzt sein! Zumal grandiose Aussichtspunkte darunter sind, die zu erreichen nicht die geringste physische Anstrengung erfordert. Man steigt aus dem Taxi in den Aufzug, drückt den obersten Knopf und ist dort. Die Brieftasche sollte allerdings gut gespickt sein.

Einer dieser Punkte ist besagtes „Windows of the World”, aber vielleicht ist das Chateau de la Chevre d'Or mit seinem beeindruckenden Blick über die Cote d'Azur und seinem Lammkarree doch der kultiviertere Tip. So ein Buch zu machen, muß schon ein großes Vergnügen sein. Jedenfalls für einen Gourmet. Da die Bilder im Lauf vieler Jahre entstanden, darf man hoffen, daß der Autor und Fotograf dabei nicht zum Gour-mand wurde, zum Vielfraß, und sich keinen Bauch und auch keine Fettleber anfraß und ansoff.

Der Leser hat längst erraten, wovon die Bede ist: Von einem Fotoband, der ausschließlich von Plätzen handelt, an denen man gut ißt und trinkt. Die Tatsache, daß Walter Vogel ausschließlich schwarzweiß fotografierte, dies aber auf höchstem technischem und künstlerischem Niveau, tut dem optischen Reiz nicht nur keinen Abbruch, sondern macht den Reiz und den Pfiff dieses Buches aus. Und es bedürfte auch gar nicht des Nachlesens, um sich darüber klar zu werden, daß dieses Buch gewiß nicht so entstanden sein kann, wie heute so-viele Bildbände entstehen, nämlich in mehreren Monaten konzentrierter Arbeit. Man merkt, daß diese Bilder die Ausbeute langen Wartens auf den geeigneten Augenblick, auf die Gunst der Stunde und langen Sammeins sind. Tatsächlich entstanden die Bilder zwischen 1974 und 1996.

Ob Vogels Gaumen so zu vertrauen sei wie seinem Auge, ist eine andere Frage. Wir erfahren ja auch nicht, ob er die berühmte, ausschließlich im Pariser „Tour d'Argent” servierte blutige Ente „Le Canard au Sang”, die zuerst erstickt (weil angeblich nur so das Blut frisch und im Körper bleibt) und dann in einer Presse zermascht wird, auch gekostet und nicht nur fotografiert hat. Der große deutsche Freßpapst Wolfgang Siebeck, dessen Gaumen so fein ist wie Vogels Fotografenauge schnell, wußte jedenfalls wenig Rühmliches über seine Eindrücke beim Vertilgen der sterblichen Überreste des bedauernswerten Federviehs zu berich- ten. Es handle sich dabei schlicht um Touristennepp. Immerhin fotografierte Vogel den Mann an der Entenpresse wie einen zufriedenen Menschenfresser nach vollbrachter Tat.

Löblich zu erwähnen ist auch, daß er nicht nur mampfende Millionäre ablichtete, oder appetitanregende Gedecke vor eindrucksvollen Szenerien, sondern auch Menschen wie du und ich beim Vertilgen von Erschwinglichem. Und zwar, ohne sich gleich zu einem optischen Fastfood-Voyeuris-mus herabzulassen.

Er verrät uns auch, daß er sich dort wohler fühlt als in den Tempeln der hohen Freßkul-tur. Er ist das, was man einen flotten Schreiber nennt, hinterfragt nicht viel, was ihm die Leute sagen, erreicht mit seinen Texten nicht das Niveau seiner Bilder, wenn er etwa den Wirt des Elsässischen Gasthofes „Krone” preist und unkritisch dessen Sprüche wiedergibt, wie etwa, daß ihn jeder der hunderttausend Korken, die er in einem Überseekoffer sammelt, „an eine bestimmte Stunde” erinnert, das sei „wie die Chronologie des Essens”.

Aber auf den Text kommt es in diesem Buch nicht so an. Das Leben ist hier in den Bildern. Rührend, wie sich Kellner, Köche, Restaurantbesitzer in Positur werfen und bemühen, ihrem Selbstimage entsprechend in die Kamera zu blicken. Und wie die Schmausenden das Fotografiertwerden über sich ergehen lassen. Kunststück. Sie sind ja wirklich mit Wichtigem beschäftigt.

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